Schöpfung neu erleben und verstehen

(Nachhaltig) Nachgefragt #37

In der Reihe „Nachhaltig nachgefragt“ stellen wir die Mitglieder des Umweltteams im Bistum und ihre Themenschwerpunkte vor. Heute sprechen wir mit der Lateinamerikanistin Dr. Elisabeth Steffens (Referentin für Schöpfungsspiritualität) und dem Theologen Dr. Dietmar Müßig (Referent für Bolivienpartnerschaft und Ökotheologie) über den Zusammenhang zwischen bewusstem Atmen und Schöpfungsspiritualität, warum auch liturgische Feiern in der Natur stattfinden sollten und warum Fleischverzicht ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit ist.

Herr Dr. Müßig, was hat Kirche eigentlich mit Nachhaltigkeit zu tun?

Dietmar Müßig: Einer der ersten Sätze im christlichen Glaubensbekenntnis benennt Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und wenn die Erde von Gott geschaffen wurde, haben wir als Menschen absolut kein Recht dazu, unseren Planeten und die Vielfalt des Lebens auf ihm zu zerstören. Dass wir aber genau das tun, darauf hat Papst Franziskus mit der Enzyklika Laudato si´ aufmerksam gemacht. Dabei betont er in diesem Rundschreiben, dass Klima- und Umweltschutz eine pastorale Aufgabe für die Kirche als Ganze sind und zum Pflichtprogramm für alle Christinnen und Christen gehören. Deshalb freut es mich sehr, dass das Bistum Hildesheim die klare Option getroffen hat, bis 2035 nicht nur CO2-neutral, sondern auch schöpfungsgerecht werden zu wollen.

Frau Dr. Steffens, Sie sind Referentin für Schöpfungsspiritualität. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Elisabeth Steffens: Kennen Sie dieses Gefühl, wenn Sie nach einem Regenschauer im Frühling rausgehen? Sie atmen tief ein und spüren frische, würzige Luft. In dem Begriff Schöpfungsspiritualität steckt das lateinische Verb spirare, das bedeutet „atmen“. Wir sind permanent durch unser Ein- und Ausatmen mit allen Geschöpfen Gottes verbunden. In diesem Sinne geht es zunächst einmal darum, durch Achtsamkeit wie bewusstes Atmen, Sehen, Hören oder Bewegen unser Sein in der Schöpfung in seiner ganzen Fülle wahrzunehmen.

Warum gehört diese Thematik in ein Umweltteam?

Elisabeth Steffens: Angesichts aktueller Herausforderungen und Krisen brauchen wir eine neue Achtsamkeit – gegenüber uns selbst, unseren Mitgeschöpfen und gegenüber Gott. Wir sind alle ein Geschenk Gottes und spiegeln seine Gegenwart wider. Auch die Erde, das Wasser, die Pflanzen und Tiere sind seine geliebten Geschöpfe; sie sind Trägerinnen und Träger spiritueller Kraft. Wir haben Potentiale in unseren Gottesdiensten, unsere Mitgeschöpfe bewusster zu würdigen.

Dazu fällt mir ganz konkret ein, regelmäßig das „Gebet für unsere Erde“ von Papst Franziskus aus der Enzyklika Laudato si´ zu beten. Wir können dadurch neue Kräfte und Hoffnung schöpfen. Und es entsteht ein anderes Verständnis für uns als Teil dieses großen Ganzen und eine ganz andere Wertschätzung. Und genau diese Achtung kann uns sensibler machen dafür, im Alltag mit den uns geschenkten Ressourcen verantwortungsvoller umzugehen. Und an diesem Thema arbeiten ja auch meine Kollegen und Kolleginnen im Umweltteam. So ergänzen wir uns.

Welche Angebote gibt es von Ihnen für die Gemeinden?

Elisabeth Steffens: Im April und Mai gab es bereits drei Angebote zur Schöpfungsspiritualität, die sich vor allem an Menschen gerichtet haben, die in den Gemeinden beauftragt sind, liturgische Feiern auszurichten – aber auch an weitere interessierte Menschen. So hatten wir zum dreitägigen Seminar „Laboratorium Schöpfungsspiritualität“ in den Klosterwald Loccum, zur Andacht „Gott im Garten begegnen“ in den Godehardgarten und zur Fortbildung „Miteinander Beten unter Bäumen – Spiritualität des Waldes bei Franz von Assisi“ in den Bistumswald in Diekholzen eingeladen.

Alle Veranstaltungen hatten eins gemeinsam: Wir wollen den Menschen Möglichkeiten bieten, sich bewusst mit sich selbst, ihren Mitgeschöpfen und Gott zu verbinden – draußen, in der Natur, in Gottes Schöpfung. Für alle Interessierten sind wir dabei, entsprechende Materialien zum Ausrichten von liturgischen Feiern in der Natur bereitzustellen.

Was ist der Unterschied zwischen Ökotheologie und Schöpfungsspiritualität?

Dietmar Müßig: Theologie ist die wissenschaftliche Reflexion einer gelebten Praxis. Schöpfungsspirituell bin ich bereits, wenn ich aus guter katholischer Tradition freitags oder in der Fastenzeit kein Fleisch esse oder im Marienmonat Mai einen Rosenkranz bete. Darauf aufmerksam zu machen, dass Fleischverzicht ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit ist, weil dann zum Beispiel in unserem Partnerland Bolivien weniger Regenwald gerodet wird, um Rinder zu züchten oder Soja als Futter für die hiesigen Kühe anzubauen, geht dann schon eher in Richtung eines sozialethischen oder theologischen Nachdenkens.

Ökotheologie schließlich beschäftigt sich damit, wie wir Gott, aber vor allem auch unsere Stellung als Menschen im Kosmos neu denken können. Sind wir wirklich die „Krone der Schöpfung“? Das Zentrum, auf das Gott alles hingeordnet hat? Ich meine, wir sollten uns stattdessen als Teil eines Netzes von Geschöpfen verstehen, die alle ein Recht auf Leben haben. Einen guten Anlass, solche ökotheologischen Impulse – nicht zuletzt auch in der Liturgie – zur Sprache zu bringen, bilden die kommenden Monate mit ihren Bittprozessionen oder den Maiandachten.

Welche Rolle spielt die Bolivienpartnerschaft dabei?

Dietmar Müßig: Die Marienverehrung spielt in der Volksfrömmigkeit in Bolivien eine sehr große Rolle. Sie bietet den Menschen die Möglichkeit, ihrem tiefen Vertrauen in die als weiblich wahrgenommene, schöpferische Kraft der Erde und der Natur Ausdruck zu verleihen. Von dieser Schöpfungsspiritualität können wir uns inspirieren lassen. Nicht zuletzt dadurch, dass wir künftig zum Beispiel beim liturgischen Beten auch ab und zu mal von der Heiligen Geistkraft sprechen anstatt immer nur von dem Heiligen Geist.

Im Oktober 2023 hat Papst Franziskus mit seinem Schreiben Laudate Deum zu einem konsequenten Handeln in der Klimakrise aufgerufen. Welche Rolle spielt dieser Text für Ihre Bestrebungen im Nachhaltigkeitsprozess „Schöpfungsgerecht 2035“?

Dietmar Müßig: Ich finde es wichtig, dass der Papst nicht müde wird, auf die gravierenden Auswirkungen hinzuweisen, die unsere Lebensweise auf die Länder des globalen Südens hat. Jedes unnötig ausgestoßene Gramm CO2 lässt auch in unserem Partnerland Bolivien die Gletscher schmelzen. Auch hier gilt: Alles ist mit allem verbunden. So führt unser zunehmender Bedarf an Lithium für die Akkus, egal ob für das Handy oder E-Auto, zum Absinken des Grundwasserspiegels rund um den Salzsee von Uyuni. Und solche Umweltschäden haben wiederum direkte Auswirkungen auf die Kleinbauern aus der Region dort. Die hat im Übrigen nie jemand gefragt, ob sie mit dem Lithium-Abbau vor ihrer Haustür einverstanden sind.

Laudate Deum lädt deshalb dazu ein, gemeinsam tätig zu werden, damit das möglich wird, was in Bolivien „vivir bien“ genannt wird: ein gutes Leben für alle Geschöpfe auf diesem Planeten. Hier geht es dann auch um das richtige Maßhalten in unserem Lebensstil und darum, was uns wirklich wichtig ist im Leben.

Elisabeth Steffens: Es ist absolut notwendig, dass Papst Franziskus in seinem apostolischen Schreiben Laudate Deum vor allem uns als Verursacherinnen und Verursacher des Klimawandels im globalen Norden mahnt, unseren Lebensstil radikaler zu ändern. Bisherige Schritte reichen einfach nicht aus. Wir können uns nicht unserer Verantwortung für die Schöpfung einseitig durch technokratische Lösungen entledigen.

Bei der Eucharistiefeier nehmen wir ja nicht nur Jesus, sondern mit Brot und Wein auch einen Teil der Schöpfung in uns auf. Ich hätte mir deshalb in Laudate Deum noch mehr Anregungen für eine liturgische Umkehr gewünscht. Dennoch sind die Aussagen aus dem Schreiben wertvoll, um im Bistum Hildesheim Schöpfungsgerechtigkeit auch in unseren Gottesdiensten zu verankern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Cornelia Hanne, Referentin für Interne Kommunikation.