Waldbrände in Bolivien gefährden Menschen

Menschen und Tiere leiden unter großflächiger Vernichtung des Regenwaldes

Dietmar Müßig, Referent für Bolivienpartnerschaft und Ökotheologie im Bistum Hildesheim, befindet sich zurzeit in Bolivien und berichtet im Interview über die schwierige Situation der Menschen und Natur im Land.

Herr Müßig, Sie sind gerade in Bolivien; was genau machen Sie dort?

Eine Vereinbarung während der Reise mit Bischof Heiner Heiner in diesem Jahr war, dass ich die theologische Fakultät der Katholischen Universität in Cochabamba als Dozent für Ökotheologie und Missionswissenschaft unterstütze. Heute Morgen habe ich die erste Vorlesung gehalten und es hat viel Spaß gemacht mit den Studierenden. Neben dieser akademischen Tätigkeit besteht meine Aufgabe darin, die Ziele unserer Partnerschaftsvereinbarung umzusetzen. Dabei geht es vor allem darum, gemeinsam mit den bolivianischen Partnern konkrete Projekte zur Bewahrung der Schöpfung zu entwickeln und dabei möglichst junge Menschen mit einzubinden.

Womit wir ja mitten im Thema wären: Wie ist es um die Natur in Bolivien und speziell um den Regenwald dort bestellt?

Um ehrlich zu sein: sehr schlecht! Nach einer zweijährigen Pause brennen wieder an vielen Stellen große Waldstücke ab. Als ich vor kurzem nach Santa Cruz geflogen bin, hat man schon im Flugzeug beißenden Rauchgeruch wahrgenommen. Als wir am nächsten Tag aus der Stadt hinausgefahren sind, war die Sonne wie hinter einer milchigen Schicht verborgen. Aber es war kein Nebel, sondern Rauch – ein apokalyptisches Szenario. Die Feinstaubbelastung in der Stadt Santa Cruz ist mittlerweile höher als die in Peking und in La Paz sieht es nicht viel anders aus. Nach den heftigen Bränden in der Chiquitania vor drei Jahren sind derzeit vor allem Gebiete im tropischen Norden des Departaments La Paz betroffen. Dabei gehen nicht nur riesige Flächen von Primär-Regenwald verloren. Auch tausende von Tieren sind den Flammen schutzlos ausgeliefert. Und besonders betroffen sind die indigenen Gemeinschaften, die dort leben. So sind z. B. kurz vor der Ernte viele Felder der Tsimane abgebrannt und teilweise auch ihre aus Holz und Palmstroh errichteten Hütten. Aber anstatt Hilfe zu schicken oder den Notstand für die Region auszurufen tut die Regierung – nichts! Dies ist umso schlimmer, als es in Bolivien sowieso kaum gut ausgerüstete Feuerwehren gibt. Wenn man sieht, wie da freiwillige Helfer*innen mit einfachsten Mitteln gegen die Flammen kämpfen, können einem die Tränen kommen.

Aber warum tut die Regierung dann nichts?

Weil sie will, dass der Wald abbrennt! Dann kann man auf den freiwerdenden Flächen nämlich Rinderherden grasen lassen. Oder man sät Sojabohnen und Sonnenblumen an; natürlich als Monokulturen und unter hohem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, von denen die Hälfte aufgrund ihrer gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen in der Europäischen Union längst verboten sind. Aber die angeblich sozialistische Regierung hat sich dazu entschieden, die Agroindustrie im Tiefland bei ihren Export-Bestrebungen zu unterstützen. Außerdem hat sie Verträge mit China unterschrieben, denen zufolge die Ausfuhr von Rindfleisch deutlich gesteigert werden soll. Im ersten Quartal dieses Jahres waren es acht Mal so viel wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Und es ist eben erklärtes Ziel der Regierung, die landwirtschaftliche Nutzfläche auszuweiten, wie das Abholzen oder Niederbrennen des Waldes beschönigend genannt wird.

Aber hatte Evo Morales zu Beginn seiner Regierungszeit nicht oft vom Schutz der Mutter Erde und dem vivir bien, d.h.einem Leben in Harmonie mit der Natur gesprochen?

Das waren schöne Reden auf internationalem Parkett. Und viele gerade Links-Intellektuelle in Europa glauben immer noch daran. Aber die Regierung unter Führung des MAS, der Bewegung für den Sozialismus, hat von Anfang an eine strikt neoliberale Wirtschafspolitik betrieben, die vor allem auf dem Export von mineralischen, aber auch landwirtschaftlichen Rohstoffen basiert. Denn nur damit lassen sich bis heute Devisen erwirtschaften. Dass dabei nicht nur die Natur, sondern vor allem die Angehörigen von unterschiedlichsten ethnischen Gruppen auf der Strecke bleiben, die vor allem in der Amazonasregion leben, spielt dabei keine Rolle. Auch nicht für die derzeitige Regierung unter Luis Arce.

Aber ist Bolivien nicht ein plurinationaler Staat, in dem alle Bevölkerungsgruppen gleich behandelt und vor allem die Indigenen respektiert werden sollen?

So lautet die Theorie, ja. Aber die Praxis sieht leider anders aus. Da werden vor allem Siedler aus dem Hochland unterstützt, die in Naturschutzgebiete und geschützte indigene Territorien im tropischen Teil Boliviens eindringen und dort Flächen roden, um dann darauf Coca oder andere Produkte anzubauen. Die ortsansässigen Gruppen sind meist sehr klein und damit politisch so unbedeutend, dass sich die Regierung immer wieder über ihre Interessen hinwegsetzt.

Etwas ähnliches geschieht im Übrigen auch mit den Interessen der Natur. Bolivien steht derzeit hinter Brasilien und dem Kongo an dritter Stelle, was die Abholzungsraten weltweit betrifft. Der wirtschaftliche Druck auf den Regenwald ist immens. Dabei müsste er dringend erhalten werden. Nicht nur, um die weltweite Klimaüberhitzung zu bremsen, sondern auch, um die für die Anden so dringend benötigten Regenzyklen sicherzustellen.

Die gesamte Amazonasregion erlebt derzeit eine dramatische Dürre, die nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch das in diesem Jahr nach Südamerika zurückgekehrt Kimaphänomen El Niño verursacht wird. Und diese extreme Trockenheit führt wiederum dazu, dass die Waldbestände noch schneller abbrennen, als es ohnehin der Fall wäre.

Was können wir denn von Deutschland aus angesichts dieses problematischen Kreislaufs tun?

Wir können versuchen, möglichst wenig Fleisch zu essen, um die Futtermittelimporte aus Südamerika zu verringern. Denn die Viehzucht ist weltweit für bis zu 80% der Regenwaldrodung verantwortlich. Außerdem können wir politische Initiativen zum Schutz des Regenwaldes unterstützen. Und nicht zuletzt können wir andere Menschen auf solche Zusammenhänge aufmerksam machen. Denn je mehr Menschen ihren Lebensstil ändern, umso größer ist die Chance, dass ein Teil des Regenwaldes mit all seinen Bewohner*innen erhalten bleibt.

Was tut die Kirche, um den von den Bränden unmittelbar betroffenen Menschen zu helfen?

Wir haben über unser Partnerschaftsbüro Kontakt mit der Caritas in den betroffenen Regionen aufgenommen. Diese wird Nothilfe-Projekte starten, die wir wiederum aus Mitteln der Hildesheimer Bolivienpartnerschaft refinanzieren. Dabei geht es um Notfallmedikamente, Trinkwasser sowie Lebensmittelhilfen. Und auch um bessere Ausrüstung für die freiwilligen Feuerwehrleute. Wer dafür spenden möchte, kann dies gerne tun auf das Konto der Diözese Hildesheim bei der:

Darlehenskasse Münster eG
IBAN: DE25 4006 0265 0000 0043 00
BIC: GENODEM1DKM.

Als Verwendungszweck bitte unbedingt angeben: 442 000 - Nothilfe Tsimane