Das Salz der Kirche

Seit zwölf Jahrhunderten antworten Ordensgemeinschaften im Bistum Hildesheim auf die brennenden Fragen ihrer Zeit

Hildesheim (bph) Sie kritisierten die Herrschenden, sorgten sich um Menschen am Rand der Gesellschaft, brachten Wirtschaft und Kultur nach vorne: „Orden waren schon immer das Salz der Kirche“, meint Dr. Thomas Scharf-Wrede. Der Leiter des Hildesheimer Bistumsarchivs erklärt, wie das Bistum im Mittelalter zur spirituellen Boom-Region wurde, in der dieses Salz besonders reichlich gestreut war.

Bruder Johannes Kannengeter war bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nahm. Ob tyrannische Adlige, skrupellose Geschäftsleute oder hochnäsige Bürgerinnen: In der Stadtgesellschaft von Hildesheim um das Jahr 1500 bekamen alle ihr Fett ab. „Eine Posaune der Wahrheit“ nennt der zeitgenössische Chronist Johann Oldecop den Franziskaner. Geistliche, die sich Pfründe sicherten und die damit verbundenen Verpflichtungen nicht erfüllten, musste damit rechnen, in seiner Predigt direkt angesprochen zu werden. Das kam an in der Stadt.

Scharf-Wrede deutet auf eine Karte: Wenn man das heutige Niedersachsen sieht, kann man sich eine Linie von Loccum im Westen über Hannover bis nach Helmstedt denken. Südlich dieser Linie fällt die enorme Dichte von Klöstern auf. „Was religiöses Leben angeht, war hier eine Boom-Region. Die Kirche war voller Bewegung, voller Ideen und Projekte“, erklärt der Bistumsarchivar. Wesentlich beigetragen zu diesem Boom haben die Kaiser Otto I., Otto II. und Otto III. im neunten und zehnten Jahrhundert. Hildesheim war ihr Heimatbistum, die Bischöfe Bernward und Godehard hatten beste Kontakte zum Kaiserhof. „Klöster entstehen da, wo Geld ist“, sagen die Historiker nüchtern. In der Hoffnung, sich einen Platz im Himmel und vielleicht auch im Andenken der Menschen zu sichern, beschenkten die Reichen und Frommen des Mittelalters die Klöster.

Als erste kamen die Benediktiner, die älteste Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche. Sie siedelten sich in Helmstedt (vermutlich im Jahr 827), Hameln (851) und Lüneburg (vor 950) an, bevor Bischof Bernward sie nach St. Michael in Hildesheim rief (ca. 1010). Die Vielfalt von Orden, die im hohen Mittelalter aufblühte, holte Bischof Konrad II. ins Bistum: Dominikaner, die Intellektuellen unter den Ordensleuten des Mittelalters, kamen nach Hildesheim, Zisterzienser, die unermüdlich Sümpfe trocken legten und Land urbar machen, nach Isenhagen und die Zisterzienserinnen nach Wienhausen und Braunschweig.

Im Jahr 1222 tauchte eine obskure Schar in Hildesheim auf: Abgerissene Gestalten, die bereits einen Fußmarsch über die Alpen hinter sich hatten. „Die ersten Franziskaner müssen irre Typen gewesen sein“, sagt Thomas Scharf-Wrede kopfschüttelnd. Der erste Versuch der Italiener, in Deutschland Fuß zu fassen, war kläglich gescheitert. Des Deutschen nicht mächtig, beantworteten sie einfach alle Fragen, die man ihnen stellte, mit „ja“. Prügel und derbe Späße auf ihre Kosten waren da noch die harmloseste Reaktion. Doch Bischof Konrad gab ihnen eine Chance. Er versammelte die Geistlichen der Stadt und ließ den Kustos der Franziskaner eine Probe-Predigt halten. Der war besser vorbereitet als seine Vorgänger und bestand den Test mit Bravour.

Die Stadtgesellschaft war schwieriger zu überzeugen. „Bettelnde Mönche waren nicht erwünscht in einer prosperierenden Stadt“, erklärt Scharf-Wrede. Sie mussten mit einem Kloster jenseits der Dommauer vorlieb nehmen. Außerhalb der Stadtmauern, nahe bei den gesellschaftlichen Außenseitern siedelte sich noch ein anderes Kloster an, das Bischof Konrad am Herzen lag. Die Magdalenerinnen oder „Reuerinnen“ waren aus einer Gemeinschaft von ehemaligen Prostituierten hervorgegangen. Durch eine Stiftung hatten sie die Chance bekommen, ein neues Leben zu beginnen.

Der erste tiefe Einschnitt in die Klosterlandschaft kam mit der Reformation. Herzogin Elisabeth von Calenberg-Göttingen trat zum evangelischen Glauben über und ließ die Männerklöster in ihrem Herrschaftsbereich auflösen. Die Frauenklöster allerdings durften als evangelische Damenstifte weiter bestehen. Nach dem 30-jährigen Krieg gab es – mit den Ausnahmen Helmstedt, Nörten und Duderstadt – klösterliches Leben nur noch im direkten Herrschaftsgebiet des Hildesheimer Fürstbischofs. Mit der Säkularisation 1810 mussten auch diese Ordenshäuser weichen. „In materieller Hinsicht natürlich ein Verlust, langfristig jedoch der Beginn einer dringend notwendigen Konzentration auf die ureigensten Aufgaben von Kirche“, kommentiert der Bistumsarchivar. Das Klosterleben erlebte danach einen neuen Aufschwung. Gemeinschaften kamen ins Bistum, die auf die brennenden sozialen Fragen ihrer Zeit Antworten hatten: Die Vinzentinerinnen kümmerten sich um die Krankenpflege, die Ursulinen um die Bildung der Mädchen, die Augustiner und Franziskaner um die Menschen, die in einer Zeit der Umbrüche auf Wallfahrten nach spiritueller Orientierung suchten.

Ordensgeschichte, meint Thomas Scharf-Wrede, erzählt davon, dass Menschen auf der Suche sind, immer wieder zu den Wurzeln ihrer Spiritualität zurückkehren und neue Wege finden. Ein Bedürfnis unserer Zeit ist die Sehnsucht nach Stille. Die Ursulinen in Duderstadt oder die Benediktinerinnen in Marienrode antworten genau auf dieses Bedürfnis – so wie es Ordensleute immer getan haben.

Erster Teil der Sommerserie zum Thema Orden