Eigensinn ist erlaubt

Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio sprach beim Katholischen Forum Niedersachsen

Hildesheim/ Celle (bph) Der Staat duldet Gemeinschaften nicht nur, er fördert sie geradezu – zumindest in Deutschland. Und das ist auch gut so, stellte Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio am Donnerstag im Celler Schloss im Gespräch mit Prof. Dr. Otto Kallscheuer klar. Gemeinschaften wie etwa Vereine oder Kirchen könnten Menschen integrieren, sagte di Fabio beim „III. Juristenforum Celle“, zu dem das Katholische Forum Niedersachsen rund 150 Juristen und Personen des öffentlichen Lebens in die Residenzstadt geladen hatte. Das diesjährige Forum stand unter dem Thema „Integration und Integrität – Ethische Sonderechte für kulturelle Enklaven?“

Sind Morde im Namen der Familienehre erlaubt? Darf die katholische Kirche Frauen vom Priesteramt ausschließen? Fragen, die Bundesverfassungsrichter di Fabio mit einem differenzierten Vortrag über die Stellung und die Bedeutung von „intermediären Vereinigungen“ beantwortete. Zu diesen Gemeinschaften, die zwischen dem Einzelnen und dem Staat stehen, zählt die Fabio, wie auch das Grundgesetz, ausdrücklich die Familie, darüber hinaus Parteien, Verbände und auch Religionsgemeinschaften. Das deutsche Grundgesetz ist nach di Fabios Aussagen solchen Gemeinschaften zugewandt, weil man erkannt habe, dass sie Menschen integrieren und Solidaritätszusammenhänge herstellen könnten.

Das gilt ausdrücklich auch für religiöse Gemeinschaften, denen der deutsche Staat zu Recht mit „wohlwollender Neutralität“ gegenüber stehe. Religiöse Gruppen dürften daher auch „eigensinnig“ sein und die katholische Kirche zum Beispiel Frauen die Priesterweihe vorenthalten, ohne sich dafür vor Gleichstellungsbeauftragten rechtfertigen zu müssen. Um diese Neutralität des Staates habe es aber auch im Bundesverfassungsgericht immer wieder Debatten gegeben. So diskutierten die Bundesverfassungsrichter vor einigen Jahren hinter den Kulissen ernsthaft, ob sich ein Tannenbaum im Karlsruher Gerichtsgebäude mit der staatlichen Neutralität vereinbaren lasse. „Der Tannenbaum blieb stehen und wird auch in diesem Jahr wieder aufgebaut“, verriet der Bundesverfassungsrichter schmunzelnd.

Wie ist das nun aber mit dem Ehrenmord oder dem vermeintlichen Recht, Kinder oder Frauen zu schlagen, das manche Gruppen für sich in Anspruch nehmen? Gemeinschaften dürfen auf den Schutz des States hoffen, sie müssen aber auch selbst das Freiheitsprinzip akzeptieren, sagte der Bundesverfassungsrichter in der Diskussion mit Philosoph und Autor Kallscheuer, der von der Moderatorenrolle in die Rolle des Gesprächspartners wechseln musste, weil der zugesagte Niedersächsische Wirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler sein Kommen abgesagt hatte. Darum ist es nach di Fabios Ansicht gerechtfertigt, demokratiefeindliche Parteien zu verbieten oder Eltern ihre Kinder zu entziehen, wenn dies dem Kindeswohl dient.

In Gemeinschaften und Verbänden sieht Jurist di Fabio zudem eine große Chance für die Integration von Migranten. Sie könnten durch ihre offene und freiheitliche Struktur anziehend auf Zuwanderer wirken. „Starke Gruppen sind auch für Migranten attraktiv“, glaubt der Bundesverfassungsrichter, sieht aber auch die Grenzen dieses Konzeptes. Bei der Frage eines Zuhörers, wie man denn mit ethnischen Gruppen umgehen solle, die sich bewusst von der Mehrheitsgesellschaft abschotten, bat der Richter um Verständnis: „Da können Sie von mir auch kein Patentrezept erwarten.“

Das Katholische Forum Niedersachsen wurde 2002 durch die Bischöfe von Hildesheim und Osnabrück sowie den Bischöflichen Offizial in Vechta gegründet und wird seit 2006 in alleiniger Trägerschaft des Bistums Hildesheims geführt. Dieses Forum will nach eigenen Angaben in den Bereichen der Gesellschafts- und Sozialpolitik sowie Bildungspolitik katholische Positionen diskutieren und wendet sich dabei in seinen Veranstaltungen ausschließlich an Entscheidungsträger und Fachleute.