Gott unter Wolkenkratzern suchen

Zwei Mitarbeiter des Bistums Hildesheim besuchen die katholische Kirche in Chicago

Hildesheim (bph) Ist Amerika das Land der unbegrenzten seelsorglichen Möglichkeiten? Was macht die katholische Kirche über dem großen Teich anders als hierzulande? Das wollen Kaplan Dr. Wolfgang Beck (34) und Pastoralreferentin Annette Burchardt (44) im September erkunden. Im Rahmen des Projektes „CrossingOver“ werden die Mitarbeiterin und der Mitarbeiter des Bistums Hildesheim sechs Wochen lang in der Erzdiözese Chicago leben.

Die katholische Kirche ist eine weltweite Institution. Und doch zeigt sie überall ein sehr eigenes Gesicht. In den USA gibt es zum Beispiel keine Kirchensteuern und anders als in Deutschland wächst dort die Zahl der Gläubigen. Als das alte Gotteshaus der Pfarrgemeinde Saint Alphonsus Liguori in Chicago vor einem Jahrzehnt zu klein wurde, hat die Gemeinde Geld gesammelt und konnte sich innerhalb weniger Jahre eine neue Kirche bauen. „In Bezug auf die Anzahl der Messen am Wochenende gibt es die Empfehlung des Kardinals von Chicago, all diejenigen abzuschaffen, die von weniger als der Hälfte der Gläubigen besucht werden“, hat Annette Burchardt erfahren. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Besuch der Gottesdienste in den meisten Bistümern unter 20 Prozent.

Grund genug also für Pastoralreferentin Burchardt und Kaplan Beck, sich Anfang September auf den Weg nach Chicago zu machen, um in zwei verschiedenen Pfarreien mitzuleben und die dortige Situation zu studieren. Burchardt wird bis Mitte Oktober in der Pfarrei Saint Alphonsus sein, an Veranstaltungen teilnehmen und Gespräche führen. Diese Gemeinde wurde 1955 gegründet, liegt in dem Vorort Prospect Heights und hat heute etwa 4.500 Mitglieder. Thematisch interessiert sich Burchardt vor allem für Fragen der Gemeindeentwicklung, wie zum Beispiel den Umgang mit Fusionen und die Gemeindeberatung. Außerdem will sie sich das ehrenamtliche Engagement und die Rolle der Frau in der katholischen Kirche von Chicago näher ansehen. Auch die Frage von Frauen in Leitungspositionen soll eine Rolle spielen. Dabei wird ihr Dr. Carol Holden zur Seite stehen, eine erfahrene amerikanische Theologin, die schon seit acht Jahren in Saint Alphonsus arbeitet. Die Hildesheimer Pastoralreferentin hofft, dass dies ein „Lernprozess auf Gegenseitigkeit“ wird. Sicher können die Gäste einiges von der amerikanischen Kirche lernen. Doch dort legt man offenbar auch Wert darauf, dass Außenstehende als „Auge des Fremden“ einen kritischen Blick auf die amerikanische Kirche werfen und neue Impulse einbringen.

Einen etwas anderen inhaltlichen Schwerpunkt hat der Hildesheimer Kaplan Dr. Wolfgang Beck. Der Geistliche interessiert sich nicht zuletzt für die Situation seiner Mitbrüder in der Erzdiözese Chicago. Um die rund 2,34 Millionen Katholiken kümmern sich dort 818 Priester in 363 Pfarrgemeinden. Häufig leben die Pfarrer zusammen in Wohngemeinschaften. Beck wird sich sechs Wochen lang den Geistlichen der Pfarrei St. Clement anschließen. Das gibt ihm auch Gelegenheit, den Aufbau einer typischen amerikanischen Gemeinde zu analysieren. „In den USA sind Pfarrkirche, Schulen, Kindergärten und soziale Projekte oft viel stärker miteinander vernetzt als in Deutschland“, erzählt Beck. Vielleicht sei dies eine wichtige Anregung für die deutsche Kirche.

Beim bloßen Zuschauen soll es für Burchardt und Beck nicht bleiben, die Erfahrungen werden aufgearbeitet: Ein Mal wöchentlich treffen sie sich mit Kooperationspartnern der katholischen Loyola-Universität in Chicago, um die Erfahrungen zu reflektieren. Damit die Erkenntnisse der beiden dann auch im Bistum Hildesheim fruchtbar werden, wollen Beck und Burchardt Berichte schreiben und im Bistum Hildesheim vorstellen. Möglicherweise wird es dann langfristig auch einen regelmäßigen „Runden Tisch“ geben, bei dem die Erfahrungen aus anderen Ländern, zum Beispiel auch dem Partnerland Bolivien, diskutiert werden.

Hinter dem Projekt „CrossingOver“ steht Prof. Dr. Wilhelm Damberg von der Katholischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Im Jahre 2006 hat er dieses Projekt begonnen, „um in der Begegnung mit dem amerikanischen Gemeindeleben die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen“, wie es in einer Broschüre heißt. Dafür baut Damberg an der Ruhr-Universität unter anderem eine Spezialbibliothek zum US-Katholizismus auf und organisiert Konferenzen von Wissenschaftlern aus beiden Ländern. Die Reisen deutscher Theologen und Gemeindereferenten nach Chicago sind nur ein Teil dieses Forschungsbereiches.

Inzwischen beteiligen sich sechs deutsche Diözesen mit insgesamt zwölf Teilnehmern an dem Austauschprogramm: Aachen, Münster, Essen, Hamburg und Osnabrück, in diesem Jahr erstmals auch Hildesheim. Wenn sich im kommenden Jahr die nächste Gruppe auf den Weg über den großen Teich macht, sollen auch wieder zwei Hildesheimer dabei sein.

Damberg hat Chicago übrigens deshalb ausgewählt, weil diese amerikanische Großstadt in vielem dem Ruhrgebiet ähnelt: Auch dort gab es in den letzten Jahren einen deutlichen Strukturwandel. Zugleich kamen immer mehr Migranten nach Chicago, so dass diese Stadt ein Zentrum der Integration geworden ist – auch für die weltweite katholische Kirche.