Katholisch frei sein

Christian Hennecke schreibt in seinem neuen Buch über absterbende Traditionen und lebendige Glaubenserfahrungen

„Freier und katholischer denn je“ lautet der Titel des Buches, in dem Dr. Christian Hennecke, katholischer Priester und Leiter des Bereichs Sendung im Bistum Hildesheim, über seinen Glaubensweg berichtet. Schonungslos deckt er auf, woran die Kirche derzeit krankt.

An vielen Beispielen verdeutlicht Hennecke, wo er sich fremd fühlt in der aktuellen katholischen Kirche. Das betrifft auch viele Kirchengemeinden, in denen er „neben einem engen Kern eine weitgehende Beziehungslosigkeit“ empfindet. Eine bestimmte Kirchengestalt befinde sich im Auflösungsprozess und Strukturveränderungen versprächen nur wenig Aussicht auf Erfolg. Hingegen gäbe es aber auch einen echten Aufbruchswillen vieler Gläubigen.

Welche Wege schlägt der Buchautor für diese sich wandelnde Kirche vor? Er berichtet über Grunderfahrungen, die ihn geprägt haben und bis heute sein Leben bestimmen. Er schreibt über die Unzufriedenheit, die er in seiner Göttinger Heimatgemeinde erlebte, wie er außerhalb dieser Gemeinschaft zum ersten Mal die Präsenz Gottes spürte. In der Fokolar-Bewegung, einer ökumenischen geistlichen Gemeinschaft, erfuhr er ein neues Gottesbild und erlebte ein neues Gefühl von Freiheit, für ihn eine „Dornbuscherfahrung“.

Selbst im Priesterseminar vermisste er diese Grunderfahrung als Thema in den Seminaren und Vorlesungen. Wie sollte so eine Vermittlung und Weitergabe in die Gemeinden erfolgen? Man könne „die erlebte Sozialform der Kirche durchaus mit einem Verein verwechseln, bei dem persönliche Glaubenserfahrungen kaum eine Rolle spielen“. Voraussetzung für lebendiges Gemeindeleben seien mystische Erlebnisse, schreibt Hennecke: „Mystik ist nichts Kompliziertes, sondern eine Erfahrung, die grundlegend die Horizonte verschiebt, Wirklichkeit neu sehen lässt.“

Wie kann man dem im eigenen Leben Raum und Möglichkeit zur Entfaltung geben? Hennecke beschreibt, wie er durch die tägliche Lektüre in der Bibel das Hören auf die Gegenwart Gottes gelernt hat – auch wenn er zugibt, zu vielen alttestamentlichen Stellen keinen Zugang zu finden. „Unglaublich – ich habe mich noch nie gelangweilt, immer scheint das, was ich lese, anders zu mir zu sprechen. Und natürlich lerne ich“, so der Autor. Das habe ihn in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend umdenken lassen, wichtige Wegmarken waren auch seine zahlreichen Taizé-Aufenthalte. Besonders die Worte Jesu haben ihn beeindruckt und in ihren Bann gezogen: „Denn auf einmal wird Jesus Christus nicht mehr eine göttliche Person, meilenweit entfernt, sondern ich stehe in derselben Wirklichkeit wie er, ich bin – die Schrift behauptet es auch – selbst ein ‚Sohn Gottes‘.“ Damit habe er Anteil an Gott und Gott an ihm.

Was heißt es denn eigentlich, katholisch zu sein? Offenbarung meine nicht, dass Gott seine Wahrheiten als Inhalte bekannt gegeben habe, damit die Menschen sie dann glauben sollten. Auch Dogmen und Konzepte dürften nicht der Mittelpunkt des Glaubens sein. Glaube sei ein Beziehungsgeschehen, zwischen Gott und den Menschen und unter den Menschen. „Das spricht nicht unbedingt gegen Glaubenskurse und Jahrgangskatechesen. Aber es würde ein anderer Fokus gelegt, der von einer zentralen Grunderfahrung ausgeht“, schreibt Hennecke.

Wenn man als Katholik:in oder einfach als Christ:in auf der Suche nach einem erweiterten Horizont ist, dann kann dieses Buch neue Ausblicke eröffnen. Dabei werden die alten Traditionen nicht schlecht geredet, aber auf den Prüfstand gestellt: „Solche Traditionen sind noch an vielen Orten lebendig – problematisch wird es, wenn in diesen traditionellen Vollzügen nicht mehr erfahrbar wird, dass sie etwas mit unserem Leben zu tun haben. Das ist das Risiko, da werden die Formen schlagartig nicht mehr zu Zugangswegen, sondern zum Selbstzweck. Sie verstopfen die Zugänge – sie werden sterben.“

Das Taschenbuch ist erschienen im Verlag Neue Stadt. Es hat 120 Seiten, kostet 16,00 Euro und trägt die ISBN 978-3-7346-1331-9.