„Männer Gottes haben das Böse in die Welt gebracht“

Bischof äußert sich zur bundesweiten Studie zum Ausmaß sexualisierter Gewalt in der Kirche

Mindestens 153 Menschen sind in den vergangenen Jahrzehnten im Bistum Hildesheim von sexualisierter Gewalt betroffen gewesen. Beschuldigt sind 46 Priester. Der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ zeigt sich bestürzt über das Ausmaß der Fälle und lädt Betroffene zum Gespräch ein.

Die Zahlen sind in die bundesweite Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ eingeflossen, die heute in Fulda der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist.

Im Zuge dieser sogenannten MHG-Studie wurden im Bistum Hildesheim 848 Personalakten von Priestern durchgesehen. Das prozentuale Verhältnis von beschuldigten Geistlichen zu den durchgesehenen Personalakten liegt bei 5,4 Prozent.

Der überwiegende Teil der Taten ereignete sich in den 1960er- und 1970er-Jahren. Von den 153 Betroffenen sind 101 Personen männlich, 16 weiblich. Bei 36 Betroffenen geht aus den Unterlagen nicht hervor, welches Geschlecht sie haben.

Das Bistum hat seit 2011 an 41 Betroffene Zahlungen in Anerkennung des Leids in einer Gesamthöhe von 170.000 Euro geleistet, im Einzelfall zwischen 1000 und 10.000 Euro. In allen Fällen ist das Bistum der Zentralen Koordinierungstelle der Deutschen Bischofskonferenz (ZKS) gefolgt. Die ZKS prüft, ob die Voraussetzungen für eine materielle Leistung erfüllt sind und spricht eine Empfehlung über die Höhe der Leistung an das Bistum aus.

Von den 46 beschuldigten Priestern sind 36 verstorben. Die 10 noch lebenden Geistlichen wurden zur Rechenschaft gezogen. Acht von ihnen sind nicht mehr im aktiven Dienst. Den zwei noch aktiven Priestern wurde kein sexueller Missbrauch zur Last gelegt, sondern grenzüberschreitendes Verhalten. Beide haben intensive Sensibilisierungsmaßnahmen und Auflagen erhalten.

Gegen vier der acht beschuldigten Priester, die nicht mehr im aktiven Dienst sind, wurden Strafanzeigen gestellt, bei einem Priester wurde auf Verlangen des Betroffenen auf eine Strafanzeige verzichtet. Alle acht Priester sind kirchlich sanktioniert worden.

Die Sanktionen reichen, je nach Schwere der Vergehen, von Auflagen, die in der Seelsorge zu beachten sind (darunter Verbot des Umgangs mit Kindern, Jugendlichen und / oder schutzbefohlenen Erwachsenen) sowie dem Verbot, öffentlich Gottesdienste zu feiern bis zur Entlassung aus dem Klerikerstand (Laisierung).

Bischof Wilmer äußert sich heute in einer Video-Botschaft ausführlich zu den Ergebnissen der MHG-Studie. Darin betont er: „Wir dienen unserer Kirche nicht, wenn wir die schrecklichen Verbrechen kleinreden und beiseiteschieben, für die wir die Verantwortung zu tragen haben. Wir dienen ihr nur, wenn wir uns klar und offen zu der Schuld bekennen, die auf uns lastet. Denn nur mit der Wahrheit – und sei sie noch so bitter – können wir in die Zukunft schauen.“

Wilmer lädt alle Menschen zum persönlichen Gespräch ein, die sexualisierte Gewalt durch Geistliche im Bistum Hildesheim erlitten haben: „Diese Einladung gilt immer. Ganz gleich, ob jemand nach drei Monaten oder drei Jahren das Bedürfnis hat, mich zu treffen.“

Ein Gespräch kann vertraulich über die E-Mail-Adresse des Bischöflichen Beraterstab in Fragen sexualisierter Gewalt vereinbart werden (beraterstab(ät)bistum-hildesheim.de). Wir empfehlen ebenso die Kontaktaufnahme über die Ansprechpersonen für Verdachtsfälle des sexuellen Missbrauchs.

Weitere Informationen zum Thema sexualisierte Gewalt im Bistum Hildesheim:

Das Bistum Hildesheim hat vor knapp einem Jahr ein Gutachten zu mehreren mutmaßlichen Missbrauchsfällen veröffentlicht, den das unabhängige Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) aus München im Auftrag der Diözese erstellt hat. Auf Empfehlung der Gutachter hat das Bistum den Bischöflichen Beraterstab in Fragen sexualisierter Gewalt umgestaltet.

Die Geschäftsführerin des Bischöflichen Beraterstabes zu Fragen sexuellen Missbrauchs, Frau Andrea Fischer, ist vom Bistum Hildesheim unabhängig. Sie übt diese Funktion ehrenamtlich aus und steht in keinem Dienst- oder Abhängigkeitsverhältnis zum Bistum Hildesheim.

Frau Fischer hat ihr Amt im Dezember 2017 von Domkapitular Martin Wilk (Leiter der Hauptabteilung Personal / Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat Hildesheim) übernommen. Ihr zur Seite steht eine hauptamtliche Referentin des Beraterstabes, die nicht der Hauptabteilung Personal / Seelsorge angehört, sondern direkt der Leiterin des Beraterstabes unterstellt ist.

Außerdem wird das Bistum in den kommenden Wochen externe, unabhängige Fachleute benennen, die als Ansprechpersonen für Fälle sexualisierter Gewalt in fünf verschiedenen Regionen des Bistums angesiedelt sein werden.

Als weitere Folge aus dem IPP-Gutachten wird bis zum Endes des Jahres eine neue Verfahrensordnung in Kraft gesetzt, die Intervention und Prävention eindeutig beschreibt und regelt. Das Papier liegt aktuell externen Fachleuten zur Prüfung vor.

Alle Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich mit Kindern, Jugendlichen oder schutzbefohlenen Erwachsenen arbeiteten, werden in der Prävention geschult. Diese Schulungen sind verpflichtend. Bisher sind 2134 hauptberufliche Mitarbeitende sowie rund 7881 Ehrenamtliche geschult.

Im Haushaltsetat 2018 des Bistums Hildesheim sind 148.700 Euro für die Präventionsarbeit vorgesehen. Darunter fallen die Personalkosten für die hauptamtliche Präventionsbeauftragte sowie zwei Sekretärinnen mit jeweils einer halben Stelle. Außerdem sind Mitarbeitende des Fachbereichs Jugendpastoral in einem vereinbarten Kontingent in der Präventionsarbeit tätig.

Für die Präventionsarbeit im Caritasverband für die Diözese Hildesheim gibt es kein gesondertes Budget. Alle Einrichtungen und Dienste finanzieren die Schulungen ihrer Mitarbeitenden sowohl hinsichtlich der Honorar- und Tagungskosten als auch den Ertragsausfall resp. die Vertretungskosten. Der Diözesan-Caritasverband finanziert die Schulungen in den Kindertagesstätten.

Die mit der Präventionsarbeit beauftragte Referentin der Caritas arbeitet zu ca. 12 Stunden pro Woche in diesem Bereich und wird durch eine Verwaltungskraft mit sechs Wochenstunden unterstützt. Eine Begleitgruppe übernimmt die Aufgabe des Monitorings. Sie besteht aus einem Vorstandsmitglied, der Abteilungsleitung und der zuständigen Referentin.