Mehr Mut, mehr Schubkraft

Karl Kardinal Lehmann fordert beim 24. Ökumenischen Studientag eine Ökumene mit Tiefgang

Hildesheim/Hannover (bph) Keinen Rückschritt, aber eine gewisse „Müdigkeit“ beobachtet der Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann zur Zeit in der Ökumene. Die Fortschritte der vergangenen Jahre seien groß, sagte der Kardinal am Donnerstagnachmittag beim 24. Ökumenischen Studientag des Bistums Hildesheim in Hannover. Zugleich wünsche er sich aber mehr Mut und mehr Schubkraft, um die strittigen Fragen voran zu bringen.

25 gemeinsame Texte in 25 Jahren – die evangelische und katholische Kirche in Deutschland haben nach Lehmanns Urteil „nicht nur beträchtliche Fortschritte im Bereich der Glaubenslehre erreicht“, sondern auch in ethischen Fragen „eine zweite wichtige Säule“ der Gemeinsamkeiten geschaffen, zum Beispiel bei Patientenverfügungen und der gemeinsamen „Woche für das Leben“. Dennoch hält es der Mainzer Kardinal für legitim, wenn sich Kirchen nach innen und außen profilieren und in gewisser Weise sogar als Konkurrenten empfinden. „Es kann auch durchaus unter den Kirchen eine Art friedlichen Wettbewerbs geben, wenn dies dem Wachsen des Christlichen in unserer Gesellschaft dient“, betonte Lehmann beim Studientag im Ökumenischen Kirchenzentrum Mühlenberg, der mit rund 500 Teilnehmern außergewöhnlich gut besucht war.

Allerdings herrsche in der Ökumene inzwischen eine andere „Grundstimmung“, beklagte der Mainzer Bischof. Als Beispiele nannte er die Bevorzugung der Lutherübersetzung in ökumenischen Gottesdiensten und von katholischer Seite den Text „Dominus Iesus“, in dem der Papst sich zur Kirchlichkeit der evangelischen Konfessionen äußerte. Man müsse inzwischen auch eine ökumenische Unbeweglichkeit feststellen. Die Bereitschaft der Kirchen, miteinander zu wachsen und sich dabei auch zu verändern, habe merklich abgenommen, bedauerte Lehmann. Stattdessen fordere man oft gegenseitig die sofortige Anerkennung. „Wir sind nicht selten heute in Gefahr, eine Ökumene ohne theologischen Tiefgang zu betreiben“, so Lehmann wörtlich, „dann belässt man es auch leicht bei den üblichen Forderungen an den ökumenischen Partner.“

Ökumene braucht Geduld – und ein gutes theologisches Fundament. Daran ließ der Kardinal bei seinem Vortrag unter dem Titel „Fortschritt in der Ämterfrage? Amt und Apostolizität in der gegenwärtigen ökumenischen Diskussion“ keinen Zweifel. Zugleich forderte Lehmann, besser zu beachten, was bisher theologisch schon erreicht worden sei. Sonst entstehe der Eindruck eines Stillstandes, obwohl dies gar nicht der Fall sei.

Im anschließenden Dialoggespräch mit dem Hildesheimer Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger – einem Schüler Lehmanns – fand der Mainzer Kardinal dann abschließend eine schöne Umschreibung für seine Sicht auf die Ökumene. Vielleicht, so der renommierte Theologe, müsse man wie Mose und das Volk Israel viele Jahre durch die Wüste gehen, um schließlich das Gelobte Land doch nur aus der Ferne sehen zu dürfen. „Tun wir in unserer Zeit alles, was uns möglich ist“, forderte Lehmann, „ein anderer muss es dann irgendwann vollenden.“