Mit Geophon zum Doppel-Te Deum

Schwingungstests an den Domglocken messen Turmausschlag

Hildesheim (bph) Der Hildesheimer Dom hatte wieder eine Stimme, wenn auch nur für einen Tag. Am Montag, 20. Juni 2011, ließ das Bistum Schwingungsmessungen an den Domglocken durchführen, um den Ausschlag des Turmes beim Anschlagen der Glocken zu messen. Dies soll helfen, die Aufhängung der geplanten sechs neuen Glocken zu planen.

Schwingungsfrequenz, Resonanzeffekt, Abklingkurve – Worte, süß wie Glockenklang! Sebastian Gokus spricht über diese Themen wie andere über ihren Lieblings-Fußballverein. Mit einem Laptop, 3D-Geophon und Kabeln erklomm der diplomierte Baudynamiker des Unternehmens „Kempen Krause Ingenieure“ aus Aachen am Montag den Glockenstuhl des Westwerks, um dort seiner stimmungsvollen Arbeit nachzugehen. Zunächst legte er unter den wachsamen Augen von Domkantor und Glockensachverständigen Stefan Mahr einen Sensor unter den gewaltigen Klöppel der „Canta Bona“-Glocke. Mit einem kleinen Schalter brachte er die acht Tonnen dieser größten Hildesheimer Domglocke dann in Schwung. Fast zehn Minuten lang erklang zum ersten Mal nach der Schließung des Doms im Januar 2010 wieder der tiefe Klang dieser Glocke. Auch die anderen fünf tönernen Rufer – Apostel-, Bernward-, Godehard-, Epiphanius- und Cäcilienglocke – wurden nacheinander angeschlagen. Zuletzt ließ der Schwingungsexperte alle Glocken zusammen im Vollgeläut erklingen.

Gokus hatte jedoch keineswegs den „harmonisch-melodischen Klang“ im Sinn, den die Glockensachverständigen nach der Einweihung des wieder aufgebauten Doms 1961 so sehr lobten. Ihm ging es darum, die horizontalen Kräfte zu messen, die beim Läuten auf die Turmkonstruktion einwirken. „Der Turm wurde beim Aufbau zum Teil mit Beton versteift, ist also ziemlich stabil und fest“ erklärt der Fachmann. Das führt zu einer bestimmten Eigenfrequenz des Mauerwerks beim Schlagen der Glocken. Nun geht es darum, die Schwingungsfrequenz der Glocken zu bestimmen, die sich wiederum aus der Schwingungsgeschwindigkeit und der Masse der Glocke ergibt. Schwingungsfrequenz der Glocken und Eigenfrequenz des Glockenturms sollten möglichst auseinander liegen, damit sich die Ausschläge von Glocken und Mauerwerk nicht gegenseitig verstärken und etwa zu Schäden führen.

Wozu das Ganze, schließlich ging es ein halbes Jahrhundert auch ohne Messungen? Das Bistum plant, seine sechs Domglocken in den kommenden Jahren um sechs weitere Glocken zu ergänzen. Sie sind wesentlich kleiner als die bisherigen, ergänzen den oberen Tonbereich der vorhandenen Glocken und sollen im oberen der beiden Glockenkammern angebracht werden. Je nach dem Ergebnis der Tests wird sich entscheiden, an welcher Position und in welcher Schwingungsrichtung die neuen Glocken angebracht werden. „Möglicherweise zeigt sich dann, dass wir einige der Glocken nicht in der Längsachse des Turmes aufhängen, wie die vorhandenen Glocken, sondern quer dazu“, erklärt Gokus.

Die Schwingungsmessungen stehen im Zusammenhang mit der Sanierung des Hildesheimer Doms, die bis zur 1.200-Jahrfeier 2015 abgeschlossen sein soll. Dabei werden die vorhandenen sechs Glocken um weitere sechs ergänzt, die bereits nach dem Krieg geplant, aber nie gegossen worden waren. Somit wird das Domgeläute erst nach der Sanierung komplett sein. Domkantor Stefan Mahr findet dazu einen schönen Vergleich: „Bisher sind die Glocken wie ein Männerchor, nur mit tiefen Stimmen, es fehlen die hohen Stimmen der Frauen, die daraus erst einen gemischten Chor machen.“

Das Hildesheimer Domgeläute aus der Gießerei Schilling in Heidelberg zählt zu den klangvollsten und tiefsten Geläuten Norddeutschlands. Es umfasst im Moment die Töne F0, As0, B0, C1, Es1 und F1. Zusammen ergeben sie einen F-Moll-Akkord mit Zusatztönen, in der Fachsprache ein „Doppel-Te Deum“.