Plüschtiere statt Granaten

Im Hildesheimer St. Bernward Krankenhaus werden zwei afghanische Mädchen behandelt

Hildesheim (bph) Der Krieg in Afghanistan hat nun auch das Hildesheimer St. Bernward Krankenhaus erreicht, wenn auch indirekt. Seit wenigen Wochen werden dort zwei Mädchen behandelt, denen die Ärzte in ihrer afghanischen Heimat nicht mehr helfen konnten.

Dichte, dunkle Haare, zu Zöpfen geflochten und Modeschmuck an den Händen. Dazu riesige Plüschtiere als Bewacher und Tröster – die beiden kichernden Mädchen könnten als beliebige Patientinnen auf einer Kinderstation durchgehen, wenn sie nicht eine ungewöhnliche Heimat hätten: Sie kommen aus Afghanistan und der Aufenthalt im Hildesheimer St. Bernward Krankenhaus ist ihr erster Kontakt mit dem Westen.

Die lange Reise der achtjährigen Madina und ihrer ein Jahr älteren Freundin Khomaro hat am 20. Februar in der afghanischen Hauptstadt Kabul begonnen. Dort stiegen die beiden mit rund 100 weiteren afghanischen Kindern in ein Flugzeug nach Düsseldorf. Organisiert wurde der Flug von der Bürgerinitiative „Friedensdorf International“ in Oberhausen, die seit 1967 kranke und verletzte Kinder aus der ganzen Welt aufnimmt und pflegt. Das Friedensdorf arbeitet in Afghanistan mit dem „Roten Halbmond“ zusammen, der die Kinder auswählte. Direkt nach der Landung wurden die kranken afghanischen Kinder auf verschiedene europäische Krankenhäuser verteilt. Madina und Khomaro hat es nach Hildesheim verschlagen. Unterstützt wurde diese Aktion durch den Lions-Club „Rose“ aus Hildesheim. Die Behandlungskosten will das St. Bernward Krankenhaus aus Eigenmitteln tragen, ohne das Behandlungsbudget für die anderen Patienten zu belasten. Beide Mädchen leiden an einer chronischen bakteriellen Knocheneiterung, die schon Teile der Bein- und Fußknochen zerstört hatte und in Afghanistan nur ungenügend operiert werden konnte. Wie sich die Mädchen infiziert haben, kann man nicht mehr feststellen, erklärt Dr. Jürgen Hillebrand, Oberarzt an der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des St. Bernward Krankenhauses. Dazu genüge schon ein banaler Schnupfen oder ein vereiterter Zahn in Verbindung mit einem schwachen Immunsystem. Beide Mädchen hatten mit ihren Familien seit Jahren in einem afghanischen Flüchtlingslager gelebt. Ihre geschwächten Körper konnten der Infektion nichts entgegensetzen. Auf der Kinderstation haben sich die beiden erstaunlich schnell eingelebt und rasch den Umgang mit fließendem Wasser und Toilettenpapier gelernt. „Beides war für die Mädchen völlig neu“, erzählt Dr. Hans Ulrich Peltner, kommissarischer Leiter der Klinik für Kinderheilkunde. Als Dolmetscher fungierten ein persischer Arzt und Afghanen des Hildesheimer „Asylhilfe e.V.“. Am 4. März wurden die beiden kleinen Patientinnen operiert und haben sich nach Auskunft der Ärzte danach sehr gut erholt. In einigen Wochen sollen sie ins „Friedensdorf International“ nach Oberhausen verlegt werden, wo sich eine intensive Rehabilitation anschließt. Dort werden Madina und Khomaro auch auf die Rückkehr in ihre Heimat im August vorbereitet. Denn eines war von Beginn an klar: Die Mädchen würden irgendwann zu ihren Eltern in die Flüchtlingslager Afghanistans zurückkehren. Ihre Rückreise werden sie mit gesunden Gliedmaßen antreten – und mit vielen Erinnerungen an Hildesheim, wo sie gehegt und gepflegt wurden. Das Oberhausener Friedensdorf will durch eine intensive Nachbetreuung dafür sorgen, dass durch diesen zweiten Kulturschock kein seelischer Schaden entsteht. Denn in Afghanistan werden keine Plüschtiere mehr ihren Schlaf bewachen.

Michael Lukas