Priesterjagd und Bücherschatz

Der „Albani-Psalter“ erzählt von den Wirren der englischen Reformation

Hildesheim (bph) Als es in England lebensgefährlich war, katholisch zu sein, brachten Mönche von der Insel den mittelalterlichen Albani-Psalter in Lamspringe bei Hildesheim in Sicherheit. Aber selbst das war nur eine Zwischenstation auf einer langen Odyssee. Heute gehört die kostbare Handschrift mit Zeichnungen und Miniaturen der Hildesheimer Pfarrgemeinde Heilig Kreuz. Ab 12. September ist der weit gereiste Bücherschatz im Dom-Museum zu sehen.

An einem Dezembertag des Jahres 1591 hing ein Toter vor einer Haustür im englischen Gray´s Inn Fields, einen Strick um den Hals. Sein Verbrechen: Er hatte in diesem Haus eine Messe gefeiert. Der gehenkte angebliche „Hochverräter“ war ein katholischer Priester.

Die englische Königin Elisabeth I. (1533 bis 1603) war nicht zimperlich, wenn es darum ging, Katholiken als wirkliche oder vermeintliche Feinde im Inneren zu bekämpfen. Papst Pius V. (1504 bis 1572) hatte sie exkommuniziert und damit die englischen Katholiken quasi zum Widerstand gegen ihre Königin aufgefordert. Der katholische König Philipp von Spanien drohte England mit seiner Armada. Elisabeth war sicher, wo der Feind zu treffen war: 130 Priester ließ sie exekutieren, die bei Missionsversuchen aufgegriffen wurden, genau so wie etwa 60 Laien, die ihnen Unterschlupf gewährt hatten. Unter ihren Nachfolgern besserte sich das Los der Katholiken kaum. Scharenweise flohen sie auf den Kontinent.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre verschlug es eines der bedeutendsten Zeugnisse der englischen Romanik ins niedersächsische Lamspringe bei Hildesheim. Der Albani-Psalter, um 1135 in der Abtei St. Albans nahe London entstanden und berühmt für seine wundervollen Miniaturen, taucht im 17. Jahrhundert in der Klosterbibliothek in Lamspringe wieder auf. Die Geschichte seiner Flucht bleibt im Nebel des Ärmelkanals verschollen. „Der einzige Anhaltspunkt sind die Besitzeinträge auf dem Vorsatzblatt“, erklärt Jochen Bepler. Er leitet die Dombibliothek in Hildesheim, wo heute der Albani-Psalter verwahrt und erforscht wird.

Wann kam der Psalter nach Deutschland?

Auf dem ersten Blatt des Kodex steht in schwungvoller Handschrift: „Liber Monast. Lambspring 1657“, Buch des Klosters Lamspringe. Spätestens 1657 scheint das Buch also an seinem Zufluchtsort für die folgenden hundert Jahre angelangt zu sein. In der linken unteren Ecke hat jemand die Buchstaben „Fr: Ben:“ eingetragen. Heißt das Kürzel einfach „Fratrum Benedictorum“, Eigentum der Benediktinerbrüder? Oder bezeichnet es einen einzelnen Besitzer mit Namen Bruder (Frater) Benedikt? In Lamspringe gab es zur fraglichen Zeit nur einen Mönch dieses Namens. Er hieß Robert Meering, bevor er den Ordensnamen Benedikt annahm. Nach einem abenteuerlichen Leben schlug er offenbar einen neuen Weg ein, legte 1658 seine Gelübde ab und starb sechs Jahre später. Hat er das Buch aus England mitgebracht?

Während der Reformationszeit muss sich der Psalter auf jeden Fall noch in England befunden haben. Jochen Bepler erkennt das an einer sorgfältigen Radierung in dem Kalender, der dem Psalter vorangestellt ist. Am 3. September, dem Gedenktag für Papst Gregor den Großen, steht dort nur noch der Name des Heiligen. Der Titel „papa“ (Papst) ist ausgelöscht. Experten wissen, dass dies auf den Bruch Heinrichs VIII. (1491 bis 1547) mit Rom zurückgeht. Als sich der damalige Papst Clemens VII. (1478 bis 1534) weigerte, Heinrichs erste Ehe zu annullieren, sagte sich der englische König 1534 von der katholischen Kirche los. Er ließ danach die Erinnerung an ihr Oberhaupt in sämtlichen schriftlichen Dokumenten tilgen.

Heinrich verfügte die Auflösung aller Klöster und zog ihr Vermögen ein. Die Säkularisierung ging ohne größeren Widerstand vonstatten: Viele Ordenspriester fanden sich mit der Situation ab und akzeptierten den König als neues Kirchenoberhaupt. Im Gegenzug erhielten sie Pensionen, Pfarrstellen oder gar Bischofsämter. Wer die englische Variante der Reformation nicht mittragen wollte, floh auf den Kontinent. In Douai, damals zu den spanischen Niederlanden gehörig, im lothringischen Dieulouard und weiteren Orten in Frankreich gründeten englische Benediktiner Anfang des 17. Jahrhunderts neue Klöster – doch ihre Heimat auf der Insel verloren sie nie aus dem Blick.

Auch in Deutschland machten sie sich auf die Suche nach einer geeigneten Immobilie und wurden in Lamspringe fündig. Hier hatten früher Nonnen gelebt, die vor den Truppen des Dreißigjährigen Krieges nach Hildesheim geflohen waren. Als der englische Abt Clemens Reyner das marode Gebäude 1643 in Besitz nahm, gab er ein Versprechen: Die Engländer werden das Kloster Lamspringe zurück geben, wenn ihre Heimat zum katholischen Glauben und die Klöster von Canterbury und St. Albans in die Hände der Benediktiner zurückgekehrt wären. An dieser Stelle stoßen die heutigen Forscher wieder auf eine Spur: Das deutsche Kloster Lamspringe war offensichtlich eng mit dem englischen Kloster St. Albans, dem Ursprungsort des Albani-Psalters verbunden.

Lebensgefährliche Mission

Die Benediktiner der Englischen Kongregation in Deutschland legten nicht nur drei, sondern vier Gelübde ab. Armut, Keuschheit und Gehorsam waren vielleicht noch die einfacheren Übungen gegenüber dem vierten Versprechen: Die Mönche mussten jederzeit bereit sein, als Missionare nach England aufzubrechen. Das konnte schnell zur Mission auf Leben und Tod werden. Wie gefährlich es für Katholiken in England geworden war, zeigt auch das Beispiel des Oliver Plunkett. Dieser irische Erzbischof wurde am 11. Juli 1681 in Tyburn in England unter dem Vorwand einer angeblichen „Jesuitenverschwörung“ gehenkt. Der Lamspringer Abt Maurus Corker begleitete ihn als Freund und Seelsorger bis zum Galgen und brachte die Gebeine des katholischen Märtyrers nach Lamspringe, wo sie bis heute ruhen.

Die englischen Benediktiner wirkten in ihrer Heimat als Seelsorger für die so genannten Rekusanten, die rund vier Prozent der englischen Bevölkerung, die am katholischen Glauben festhielten. In englischen Landhäusern werden bis heute noch gut verborgene „Priesterlöcher“ entdeckt: Verstecke für verfolgte Priester hinter der Wandvertäfelung oder in den Verästelungen des Schornsteins. Die „Priester-Jäger“ der Krone belagerten die verdächtigen Häuser wochenlang und brachten nicht selten Zimmerleute und Maurer als fachkundige Verstärkung mit. „In einem dieser Verstecke hat man ein Skelett gefunden“, erzählt Jochen Bepler. „Offensichtlich wurde die Familie verhaftet und konnte den Priester nicht mehr befreien.“

Die Lamspringer stellten den Löwenanteil der benediktinischen Missionare in England. Aber auch in Deutschland spuckten sie in die Hände: Sie gründeten eine Schule, die neben den Kindern englischer Exil-Katholiken auch deutsche und sogar protestantische Jungen aufnahm, übten täglich Deutsch und missionierten in der evangelischen Nachbarschaft. Anders als andere englische Klöster auf dem Kontinent schotteten sie sich nicht ab, sondern pflegten gute Kontakte in die Region und wirtschafteten erfolgreich.

Das Kloster Lamspringe wird aufgelöst

Doch die Säkularisation holte Lamspringe 1803 ein: Das Kloster wurde aufgelöst, sein Vermögen eingezogen. Einer der Patres versuchte in einer Nacht- und Nebelaktion, die Klosterbibliothek nach England zu retten. Der Zoll in Hamburg vereitelte den Coup. Noch Jahrzehnte später tauchten mysteriöse Kisten mit Handschriften und Drucken aus Lamspringe zwischen London und Hildesheim auf. Der Albani-Psalter jedoch war nicht darunter. Er tritt erst 1827 wieder ans Licht: Drei Professoren des ebenfalls aufgelösten Hildesheimer Godehardiklosters übergeben ihn der Pfarrgemeinde, die die Nachfolge des Kloster angetreten hatte. Wieder bleibt der Weg, der den Psalter bis hierher geführt hat, im Dunkel der Geschichte. „Er ist im Kirchenbesitz verblieben“, argumentiert Jochen Bepler. „Das spricht dafür, dass er schon vor der Säkularisierung den Besitzer gewechselt hat.“

Die englischen Mönche hatten also den deutschen Mitbrüdern aus St. Godehard das wertvollste Symbol ihrer Tradition übertrugen. Man darf daher annehmen, dass sich die Engländer da längst heimisch fühlten auf dem Kontinent. Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich auch: Im Kloster von Lamspringe kriselte es schon vor der Säkularisierung im Jahre 1803. Die Mönche waren zerstritten, Nachwuchs aus England blieb aus. Nur durch einen rigiden Sparkurs konnte Abt Maurus Heatley die Schulden seines Vorgängers tilgen. St. Godehard gehörte zu den Gläubigern von Lamspringe. Hat der Psalter als Pfand oder Ausgleichszahlung gedient? Vielleicht hat ein Bruder auch einfach früh genug die Zeichen der Zeit erkannt und den Kodex auf dem Umweg über seine Privatsammlung nach St. Godehard gerettet.

Wie auch immer: Heute gehört der Psalter der Hildesheimer Innenstadtgemeinde Heilig Kreuz, der Rechtsnachfolgerin der Gemeinde St. Godehard. Doch in digitalisierter Form ist er im Internet für jeden zugänglich. „Wenn so ein wichtiges englisches Kulturgut außerhalb des Königreiches aufbewahrt wird, haben wir eine Bringschuld“, rechtfertigt Jochen Bepler die Digitalisierung der wertvollen Handschrift. „Es ist ein Versuch, zu teilen, was wir haben.“

Autorin : Annedore Beelte

 

Ausstellung „Gottesfurcht & Leidenschaft“

Der mittelalterliche Albani-Psalter mit seinen Miniaturen und Initialen ist vom 12. September 2009 bis 24. Januar 2010 im Dom-Museum Hildesheim zu sehen. Die Ausstellung unter dem Titel „Gottesfurcht & Leidenschaft“ zeigt erstmals in der Geschichte alle Seiten des Psalters gleichzeitig, da die Handschrift aus konservatorischen Gründen in ihre Einzelseiten zerlegt wurde. Nach der Ausstellung wird das Buch wieder gebunden. In einem eigenen Ausstellungsteil erfahren die Besucher, wie Handschriften im Mittelalter angefertigt wurden. Zu sehen ist das unschätzbare Werk dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet 6 (4) Euro.

 

Weitere Informationen auf der Homepage „albani-psalter.de“