Schändliche Diskussion

Bischof Trelle verurteilt auf Neujahrsempfang des Diözesanrates der Katholiken politische Debatte der letzten Wochen

Neujahrsempfang einmal anders: Zu einer „Mahlgemeinschaft“ hatte der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Hildesheim am Samstag in den „Sozialen Mittagstisch Guter Hirt“ in der Bischofsstadt geladen. Über 150 Interessierte folgten der Einladung – zu Linsensuppe, Obst, Kuchen und vier Tischreden. Die Leitfrage: „Wie bleibt unsere Gesellschaft sozial?“

 

 

Erster Tischredner: Bischof Norbert Trelle. Er lenkte den Blick auf Menschen auf der Flucht. Allein im Mittelmeer seien in den letzten 20 Jahren über 20.000 Menschen ertrunken, bei dem Versuch nach Europa zu gelangen: „Auch wenn wir nicht direkt verantwortlich für ihren Tod sind, müssen wir uns fragen, ob unser Lebensstil und die Politik unserer Länder in Europa nicht entscheidend dazu beiträgt.“ Flüchtlinge seien keine Figuren auf dem Schachbrett der Politik, sondern hätten den legitimen Wunsch nach einem besseren Leben und einer Hoffnung auf ein „gelobtes Land“. „Das sollte uns bewusst sein, wenn dieser Tage auf eine schändliche und menschlich diskreditierende Weise von ‚Sozialtourismus’ und ‚Zuwanderung in die Sozialsysteme’ gesprochen wird“, sagte Trelle mit Nachdruck.

„Arbeitslosigkeit macht arm und Armut macht krank“: Auf diese fatale Entwicklung wies Dr. Ursula Lange als zweite Tischrednerin hin. Akute Krankheiten würden aus Mangel nicht rechtzeitig behandelt, klagte die Medizinerin, die die Straßenambulanz der Caritas in Hannover leitet. Die Folge: „Das Leiden wird chronisch.“ Auch psychische Erkrankungen nehmen zu. Scham, aufgrund langer Arbeitslosigkeit führe zu einem verminderten Selbstbewusstsein und oft in eine Depression – verbunden mit Alkoholproblemen, Scheidung und Wohnungsverlust. Besonders dramatisch: „Die Armutserkrankung des 19. Jahrhunderts, die Tuberkulose, kommt wieder häufiger vor.“ Bitteres Fazit der Medizinerin: „Wer arm ist, stirbt früher, Männer um zehn, Frauen um fünf Jahre im Vergleich zu Gutsituierten.“

Diözesan-Caritasdirektor Dr. Hans-Jürgen Marcus, warnte als dritter Tischredner davor, materiell arme Familien und allein Erziehende als „sozial schwach“ zu verunglimpfen. Gerade die sogenannte „Armutsbevölkerung“ spare sich die Ausgaben für die Bildung ihrer Kinder vom Munde ab. Das sei „sozial verdammt stark“. „Sind nicht die sozial schwach, die keinen Blick für den gesellschaftlichen Zusammenhang haben?“, fragte Marcus. Der Theologe sprach sich zudem für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus. Dabei sei in erster Linie die Arbeitswelt gefordert: „Familien müssen die Taktgeber der Gesellschaft sein, nicht wirtschaftliche Interessen.“ Gerade in Richtung der eigenen, der katholischen Kirche forderte Marcus, die Vielgestaltigkeit von Familien anzuerkennen und wertzuschätzen: „Wir brauchen Sympathie für Menschen, die in verbindlichen Beziehungen Verantwortung für andere übernehmen.“

„Wir helfen, ohne nach einer amtlichen Bescheinigung oder der Religion zu fragen,“ betonte Diakon Andreas Handzik in der vierten Tischrede. Er ist Leiter des Sozialen Mittagstisches Guter Hirt – und somit Hausherr der großen Warenhalle, in der der Neujahrsempfang durchgeführt wurde. An 365 Tagen im Jahr gibt es im Guten Hirten eine warme Mahlzeit: Zwischen 70 und 100 Menschen nutzen dieses Angebot täglich. Ebenfalls täglich werden Tüten mit Gemüse, Obst und Brot verteilt, zweimal in der Woche noch haltbare Lebensmittel: „Alles aus Spenden, von Supermärkten und Bäckereien ebenso wie über unsere Aktion ‚Zweites Netz’, über das in vielen Kirchengemeinden Konserven, Nudeln und Reis gesammelt werden.“ Weitere Angebote im Guten Hirten, der als Einrichtung zur katholischen Pfarrgemeinde Maria Lichtmess gehört: Eine Kleiderkammer, ein Flohmarkt mit Geschirr, Töpfen, Haushaltsgeräten und Spielen sowie ein Bücherecke – ebenfalls alles Spenden. Darüber hinaus bietet der Soziale Mittagstisch befristete und öffentlich geförderte Arbeitsplätze für Menschen an, die sonst kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. „Niemand wird wegegeschickt, niemand bevorzugt“, versicherte Handzik. Auch die Gäste des Neujahrsempfangs nicht: Die Linsensuppe bekamen auch die täglichen Nutzer des Sozialen Mittagstisches serviert.

„Der Gute Hirt ist ein Ort, wo Ungerechtigkeit tagtäglich bezeugt wird, aber wo sie auch Linderung erfährt“, würdigte Elisabeth Eicke, Vorsitzende des Diözesanrates, die geleistete Arbeit. An vielen Stellen im Bistum werde dieser Ungerechtigkeit entgegentreten. Trotzdem sei es unerlässlich, Flüchtlinge, gesellschaftlich Ausgegrenzte und arme Menschen „in die Mitte unseres Denkens zu rücken“.

Der Diözesanrat der Katholiken ist die Vertretung der Katholiken im Bistum Hildesheim. Er berät den Bischof und nimmt zu Fragen des öffentlichen Lebens Stellung. Das Gremium setzt sich zusammen aus Vertretern der Dekanate, kirchlicher Verbände und Berufsgruppen sowie der Orden im Bistum. Außerdem kann der Bischof Mitglieder auf Vorschlag berufen und einen Bischöflichen Beauftragten ernennen. Der Diözesanrat hat insgesamt 45 Mitglieder, seine Amtszeit beträgt vier Jahre.