Unverdienbare Geschenke

Akademieabend im Jakobushaus Goslar beschäftigte sich mit Gelassenheit und Vergebung

Goslar (bph) Gelassenheit kann man nicht erzwingen, Vergebung noch weniger. Mit dieser beruhigenden Erkenntnis gingen die Besucher am Samstagabend nach dem Akademieabend „Verzeihung braucht Gelassenheit“ im St. Jakobushaus Goslar nach Hause. Für beide Seelenzustände kann man zwar eine Menge tun, referierten die beiden renommierten Experten Prof. Dr. Walter Schweidler und Dr. Dagmar Stoltmann. Letztlich bleiben sie jedoch vor allem – ein Geschenk!

Selbst einen Begriff wie „Gelassenheit“ kann man systematisch untersuchen und analysieren. Der Jurist und Philosoph Prof. Dr. Walter Schweidler, der einen Lehrstuhl für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum bekleidet, hat es getan. Seine Definition von Gelassenheit: das Wissen darum, dass es etwas Wichtigeres gibt als das eigene Leben und die Überzeugung, dies auch gegen Widerstände tun zu müssen. Dem religiösen Menschen hilft dabei der Glaube an einen Gott, die Überzeugung, dem Weltwillen Gottes gerecht zu werden. Gelassenheit ist dabei die goldene Mitte zwischen Fanatismus und Zynismus: Wer seinen eigenen Willen fanatisch durchsetzen will, ist nach Überzeugung des Philosophen eben so wenig gelassen wie ein Mensch, der sich angesichts der vermeintlichen Schlechtigkeit der Welt in Zynismus flüchtet.

Erzwingen kann man echte Gelassenheit nicht. „Wie man gelassen wird, kann ich Ihnen auch nicht sagen“, bekannte der Bochumer Professor. Er hat aber verschiedene Hindernisse ausgemacht, die der echten Gelassenheit im Wege stehen. So zum Beispiel das berechnende Denken. Wer bei allen Dingen immer nur deren Wert im Sinne habe, könne niemals zweckfrei genießen und damit auch nicht gelassen sein. Und auch der Optionalismus vieler Menschen macht nach Schweidlers Ansicht ungelassen: Man müsse nicht in jedem Lebensalter immer alles können müssen. Wer akzeptiert, dass er im Alter nicht mehr körperliche Höchstleistungen vollbringen kann, sei auf dem Weg zur Gelassenheit. Erzwingen kann er sie jedoch nicht.

Eben so wenig wie Verzeihung. Das machte Dr. Dagmar Stoltmann, Referentin für theologische Grundfragen im Bischöflichen Generalvikariat Hildesheim, in ihrem Vortrag deutlich. Und sie räumte mit einigen Vorurteilen auf: Vergeben sei zwar ein christlicher Wert, könne aber von keinem Christen eingefordert werden. „Man muss innerlich bereit dazu sein“, so die Theologin – und das braucht manchmal Zeit. Denn verzeihen bedeutet, zur Tat zurück zu kehren. Ein schmerzhafter Prozess – für Täter wie Opfer. Zu diesem Akt der Selbstentblößung kann man aber niemanden zwingen. „Reue ist nichts für Schwächlinge“, brachte es Stoltmann auf den Punkt.

Wenig hält die Theologin auch vom „Vergeben und Vergessen“. Beides will sie voneinander trennen: Wenn ein Opfer dem Täter vergibt, dann wird ein neues Miteinander möglich. Doch auch dann bleibt oft eine Narbe auf der Seele des Opfers: „Narben sind Mahnmale für Erinnerungen, die zwar den Stachel der Qual verloren haben, aber eine leise Traurigkeit behalten“, so Stoltmann fast lyrisch. Die rege Diskussion, die vom ehemaligen Akademiedirektor Dr. Andreas Fritzsche geleitet wurde, zeigte dann noch einmal, wie wenig man sich Gelassenheit und Verzeihung erarbeiten kann. Sie bleiben ein Gabe, die oft unverdient verschenkt wird.