Aufgehobene Gedanken

Hanns-Josef Ortheil las beim Aschermittwoch der Künstler aus seinen Werken

Hildesheim (bph) Wenn man gute Autoren daran erkennt, dass sie mehr sehen und mehr denken als andere, dann ist Hanns-Josef Ortheil ein ausgezeichneter Schreiber, und war das wohl auch schon als Kind, wie er am Mittwochabend bei einer Lesung zum Aschermittwoch der Künstler in der Hildesheimer Dombibliothek bewies. Mit den Leseproben aus seinen Werken „Die Erfindung des Lebens“ und „Die Moselreise“ zeigte sich Ortheil als ebenso sprachbegabter wie nachdenklicher Mensch.

Wie kann ein Elfjähriger nur so viel denken und wo findet er nur die Zeit zum Schreiben? „Die Moselreise“ schildert eine Wanderung, die Ortheil im Juli 1963 mit seinem Vater unternommen hat. Zu Fuß liefen damals beide von Koblenz nach Trier, und was es an Merkwürdigkeiten und Absonderlichkeiten auf einer solchen Reise zu entdecken gibt, das hat der junge Hanns-Josef damals in ein Tagebuch geschrieben – und Jahre später zum Buch gemacht. Ob es Gedanken zum damals neu gewählten Papst Paul VI. sind oder Beobachtungen zu den Auswirkungen des Moselweins beim Vater, der Elfjährige schrieb sie mit kindlicher, aber treffender Feder nieder. Sie sind auch heute noch lesenswert, reizen mitunter zum Lachen und wurden unter der sehr wohl modulierten Stimme des Autors in der Dombibliothek auch zu einem echten Hörgenuss.

Auch der Roman „Die Erfindung des Lebens“ hat starke autobiographische Züge, worauf Norbert Trelle in seinem Grußwort hinwies und nicht verhehlte, die Bücher Ortheils hätten ihn „einige Stunden des Nachtschlafs“ gekostet. Das Leben könne man wohl nur dann recht verstehen, wenn man es in Bilder und Metaphern schauen könne, sagte der Bischof. Es sei immer ein Glücksfall, jemanden zu finden, der solche Bilder und Metaphern auch in Sprache formen könne. „Solche Glücksfälle sind gerade ihre beiden jüngsten Romane“, lobte Trelle.

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln als fünfter Sohn eines Ehepaares geboren, das während der Kriegs- und Nachkriegszeiten vier Söhne verloren hatte. In den ersten Jahren seines Lebens wuchs er zusammen mit seiner Mutter auf, die wegen des Verlusts ihrer Kinder stumm gewordenen war. Seit dem vierten Lebensjahr spielte er Klavier. Eine pianistische Ausbildung musste Ortheil wegen massiver Sehnenscheidenentzündungen abbrechen. Danach studierte er Musikwissenschaften, Philosophie, Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft in Mainz, Göttingen, Rom und Paris. 1976 promovierte er an der Universität Mainz und lehrte seither an verschiedenen deutschen Hochschulen als Poetik-Dozent. 1979 erschien sein erster Roman, für den er den „Aspekte“-Literaturpreis des ZDF für das beste Debüt des Jahres erhielt. Seit 1990 unterrichtet er an der Universität Hildesheim, zunächst als Dozent für Kreatives Schreiben und Gegenwartsliteratur, seit 2003 als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Gegenwärtig ist er Direktor des Instituts für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft. Sein umfangreiches schriftstellerisches Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden.

Hinweis:
Die Ausstellung zum Aschermittwoch der Künstler 2011:
„Thomas Virnich – Paradies. Hin und zurück“,
Roemer- und Pelizaeus-Museum, Am Steine 1-2, 31134 Hildesheim,
bis 1. Mai 2011, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr,
Ausstellungskatalog: 52 Seiten mit einem Essay von Prof. Michael Schwarz, Verlag Schnell + Steiner, 24,50 Euro;