Die Kirchenflüsterer

Das Internet öffnet neue Wege in der Seelsorge

Hildesheim (bph) Die virtuelle Internet-Kirche "St. Bonifatius" feierte vierten Geburtstag. Aus diesem Anlass trafen sich Seelsorger, aber auch Nutzer dieses Angebotes zu einem Studientag in der Ludwig-Windthorst-Schule Hannover. Internet-Seelsorge hat Zukunft, so das Fazit. Vor allem die Möglichkeit zu "flüstern", das heißt ein vertrauliches Gespräch per Tastatur zu führen, wird rege nachgefragt.

"Was solln das hier?", hackt ein Surfer irritiert in seinen Computer. Verunsichert sind auch andere: "mussich jez hände falten oder was?" fragt sich, orthographisch nicht ganz korrekt, ein Unbekannter. Es dauert einige Minuten, bis die rund 15 User im Chatroom der Funcity-Kirche "St. Bonifatius" begriffen haben, dass sie gerade Zeuge eines realen Gottesdienstes werden. Im Obergeschoss der Ludwig-Windthorst-Schule in Hannover haben sich nämlich die Teilnehmer des Studientages eingefunden, um den vierten Geburtstag der Funcity-Kirche mit einem Wortgottesdienst zu feiern. Das Besondere daran: Der Gottesdienstraum ist theoretisch so groß wie die Welt. Von zwei Helfern wird das in Hannover Gesprochene und Gebetete per Tastatur in den Chatroom übertragen – von dort kommen nach kurzer Irritation dann ganz vernünftige Antworten und werden mit dem Beamer für alle lesbar an die Wand geworfen.

Dieser Gottesdienst war der erste Versuch seiner Art – und er ist gelungen. Spätestens beim gemeinsam per Tastatur "gebeteten" Vaterunser haben die Gottesdienstbesucher vor Ort und jene da draußen am Computer ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt.

Die Welt des Internet ist also realer, als man glaubt. Das zeigte auch der Studientag. Gebannt hatten die Besucher den erfahrenen Chatterinnen Teresa, Vanessa, Iris und Mirjam gelauscht, die von ihren Erfahrungen mit dem virtuellen Gesprächsraum der Internet-Kirche "St. Bonifatius" berichteten. "Das Gesprächsniveau ist dort höher, als bei anderen Chats" hat Mirjam beobachtet. Und immer wieder klopft die reale Welt an die virtuellen Kirchentüren: Viele der regelmäßigen Besucher des Kirchen-Chatrooms haben sich inzwischen über konfessionelle Grenzen hinweg bei kirchlichen Veranstaltungen persönlich getroffen. Und als einer der regelmäßigen Kirchen-Chatter bei einem Verkehrsunfall starb, da hat die "Gemeinde" von Funcity für ihn gebetet.

Tatsächlich bietet das Internet nach Ansicht des Hildesheimer Diözesan-Jugendseelsorgers Martin Tenge die Chance, Menschen zu erreichen, die mit den herkömmlichen Kirchenstrukturen wenig anfangen können. Auffällig zum Beispiel das rege Interesse am virtuellen "Beichtstuhl" der Funcity-Kirche. Obwohl dort nicht die Absolution erteilt wird, sondern ein Priester oder Pastor lediglich für ein vertrauliches Gespräch zur Verfügung steht, wird dieses Angebot rege nachgefragt: Von Schul- über Eheprobleme bis hin zu sexuellem Missbrauch und handfesten Selbstmordabsichten komme dort alles zur Sprache, erzählen die Seelsorger auf dem Studientag. Viele der Nutzer schätzen offenbar die Möglichkeit, sich aus dem "Angebot" an geweihten und nicht-geweihten Seelsorgern, Theologen und Beratern beiderlei Konfession und Geschlechtes den für sie "passenden" Ansprechpartner herauszupicken.

Bei den wirklich intimen Gesprächen ziehen sich die meisten Nutzer dann doch wieder hinter die Anonymität eines Tarnnamens zurück, haben die Funcity-Seelsorger beobachtet. Als "mara13w" zum Beispiel fällt es eben doch leichter, Dinge zu sagen, die man unter vier Augen nie sagen würde. Die Künstlichkeit wie auch die Anonymität des Internet – beide bieten Chancen für eine ganz reale Seelsorge.

Hintergrund:
Überkonfessionelle Seelsorge

"St. Bonifatius" ist die Internet-Kirche der virtuellen Stadt "Funcity". Diese wiederum gilt als Hauptstadt des virtuellen Landes "Funama", welches ursprünglich als Begegnungsangebot von fünf norddeutschen Radiostationen eingerichtet wurde. Die Kirche wurde am 6. April 1998 geweiht. Für St. Bonifatius arbeiten rund 20 Seelsorger – Geweihte und Nicht-Geweihte, Männer und Frauen, Katholiken und Protestanten. Sie bieten unter anderem eine E-Mail-Seelsorge an. In der Kirche gibt es einen Chatroom. Regelmäßig (Dienstag und Donnerstag zwischen 21 und 23 Uhr) wird der Chat von mindestens einem Seelsorger moderiert. Auf Wunsch können vertrauliche Zweiergespräche geführt werden. Sehr beliebt ist der Gemeindebrief, der per E-Mail verschickt wird. Er erreicht inzwischen mindestens 2.500 Personen.

"Funama" erzielte im März 2002 rund 11 Millionen PageImpressions, die Internet-Kirche St. Bonifatius 35.000.