Diener oder Stellvertreter?

Katholisches Forum Niedersachsen fragte nach der Rolle der Kirche in der Gesellschaft

Hildesheim/Hannover (bph) Trotz schwerer Fehler beim Thema Missbrauch, trotz fragwürdiger hierarchischer Strukturen – die katholische Kirche wird überleben, wenn sie weiterhin in der Gesellschaft die Frage nach Gott stellt. Mit dieser Hoffnung entließ das „Katholische Forum Niedersachsen“ seine rund 100 Gäste aus Politik, Gesellschaft und Kirche in den Sonntagabend. „Missbrauch, Macht, Moral. Verliert die Kirche die Gesellschaft?“ hatte das Forum in der Eisfabrik Hannover namhafte Referenten gefragt.

Um Antworten bemühten sich Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann, Emeritus des Lehrstuhls für Sozialpolitik und Soziologie an der Universität Bielefeld und der Priester Prof. Dr. Klaus Baumann vom Lehrstuhl für Caritaswissenschaft an der Universität Freiburg. Aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln – Zeitgenosse des II. Vatikanischen Konzils und Laie der eine, jüngerer Priester und damit Teil der Kirchenhierarchie der andere – ergaben sich interessante Ansichten zum Thema Kirche vor dem Hintergrund der aktuellen Missbrauchsdebatte. Kaufmann sparte nicht mit Kritik an Funktionsträgern und der Institution Kirche, der er kürzlich in einem Interview pathogene Strukturen vorwarf. Papst Johannes Paul II. sei ein charismatischer Papst gewesen, der Konflikte überstrahlen konnte, sagte der emeritierte Professor. Benedikt XVI. dagegen habe „andere Gaben“. Möglicherweise habe dies Einfluss auf das gesellschaftliche Klima gegenüber der Kirche. Auch deshalb vielleicht sei die Reaktion auf die im Frühjahr bekannt gewordenen Missbrauchsfälle weit heftiger als acht Jahre zuvor, als der Missbrauch schon einmal Thema war.

Die Strukturen des Vatikan hält Kaufmann für zu zentralistisch und damit wenig lernfähig. Noch immer wirke dort offenbar unbewusst der Glaube, die Kirche sei eine perfekte Gesellschaft neben dem Staat. Zwar habe das II. Vatikanische Konzil mit dem Konzept einer triumphierenden Kirche gebrochen, doch dies sei noch nicht von allen Funktionsträgern verinnerlicht worden, vermutet Kaufmann.

Baumann, der nicht nur Priester, sondern auch Psychotherapeut ist, brachte unter der kundigen Moderation der beiden profilierten Journalisten Dr. Daniel Deckers und Prof. Wilfried Köpke interessante Aspekte aus seiner psychotherapeutischen Praxis mit in die Diskussion. Nicht die Sexualmoral sei das große Tabuthema der Kirche, glaubt der Geistliche und Psychotherapeut, sondern der Umgang des Klerus mit Aggressionen, außerdem der Druck, ständig und unbedingt für die Menschen da sein zu sollen. Daher seien neue Formen der Psychohygiene notwendig. Priester sollten außerdem besser begleitet werden.

Die katholische Kirche geht schwierigen Zeiten entgegen, darin waren sich beide Referenten einig. Menschen sind selbstbewusster geworden und hinterfragen mehr als früher. Außerdem seien viele einst christliche Standpunkte inzwischen in das Selbstverständnis der Gesellschaft übergegangen, etwa die allgemeinen Menschenrechte. So bleibe der Kirche, über sich selbst nachzudenken und der Gesellschaft damit ein Vorbild zu geben. Und natürlich: „Kirche muss immer wieder die Frage nach Gott stellen“, wie Kaufmann sagte. Er kleidete dies in die entscheidende Frage: „Versteht sich die Kirche, versteht sich der Papst als Stellvertreter oder als Diener Christi?“ Wenn sie die richtige Antwort gebe, dann habe Kirche eine Zukunft in dieser Welt.

Das Katholische Forum Niedersachsen wurde 2002 durch die Bischöfe von Hildesheim und Osnabrück sowie den Bischöflichen Offizial in Vechta gegründet und wird seit 2006 in alleiniger Trägerschaft des Bistums Hildesheims geführt. Dieses Forum will in den Bereichen der Gesellschafts- und Sozialpolitik sowie Bildungspolitik katholische Positionen diskutieren und wendet sich dabei in seinen Veranstaltungen an Entscheidungsträger und Fachleute.