Landesregierung und Kirchen bitten um Verzeihung

Anerkennung des Unrechts an Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie zwischen 1949 und 1975.

Erstmals haben die Landesregierung und die Kirchen in Niedersachsen Menschen um Verzeihung gebeten, die zwischen 1949 und 1975 als Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Psychiatrie untergebracht und dabei schweres Unrecht erlitten haben.

„Die Zustände waren unerträglich und grausam“, betonte Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) und nannte Schläge, Züchtigungen, Zwang zur Arbeit, Demütigungen, Fesselungen und Versuche mit Medikamenten als Beispiele: „Niemand hat sich für das Schicksal der Betroffenen interessiert.“ Das dürfe nie wieder vorkommen: „Daher erkennen wir nicht nur das verursachte Leid an, sondern bitten um Verzeihung.“

„Auch als Katholische Kirche übernehmen wir die Verantwortung für das, was Menschen in unseren Einrichtungen angetan würde“, sagte Bischof Heiner Wilmer: „Wir müssen den Menschen zuhören, die Unrecht, Gewalt und Verbrechen erleiden mussten.“ Die Betroffenen, die zum Teil erstmals nach Jahrzehnten den Mut finden, über das Erlebte zu sprechen, verdienen allen Respekt und Anerkennung. Gleichzeitig müsse die wissenschaftliche Aufarbeitung weiter fortgesetzt werden, um aus dem systematischen Versagen von staatlichen und kirchlichen Einrichtungen Lehren zu ziehen: „Wir müssen unsere Institutionen so verändern, dass so etwas nicht wieder geschehen kann“, unterstrich Wilmer. Denn auch heute gehe es um die Frage, wie Demütigungen und Diffamierungen vermieden werden und Inklusion gelingen könne.

Für die evangelische Kirche bat der Hannoversche Landesbischof Ralf Meister um Verzeihung: „Wir sind beschämt über das Leid der Betroffenen.“ Nichts entschuldige die Tatsache, dass jungen Menschen lebenslange Schäden zugefügt wurden. Umso schwerer wiege die Einsicht, dass dies ausgerechnet in Einrichtungen geschehen ist, die sich der christlichen Nächstenliebe verpflichtet fühlten. 

Behrens, Wilmer und Meister äußerten sich anlässlich der Tagung „Leid und Unrecht anerkennen“ in Hannover. Das Land und die Kirchen hatten Betroffene eingeladen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Zudem wurden Ergebnisse einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschehnisse in den stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie vorgestellt.

Bereits 2017 hatten Bund, Länder und Kirchen gemeinsam die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ gegründet. Schätzungen gehen davon aus, dass bundesweit etwa 25000 Kinder und Jugendliche Unrecht erlitten haben. Bisher wurden nach Angaben des Sozialministeriums bundesweit 222 Millionen Euro an über 21 000 Betroffene an finanzieller Hilfe zur Anerkennung des Unrechts ausgezahlt worden, davon 2568 Betroffene in Niedersachsen.

Die Tagung „Leid und Unrecht anerkennen“ am 6. September in Hannover wurde aufgezeichnet. Das Video (mit begleitender Gebärdensprache und Untertiteln) wird in Kürze auf der Internetseite des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung verfügbar sein: www.ms.niedersachsen.de/anerkennung