Malereien in neuem Licht

Amerikanische Wissenschaftler entschlüsseln das „Blau“ im Kleinen Bernwardevangeliar

Hildesheim/Chicago (bph) Die tiefen Blautöne in den Malereien des Kleinen Bernwardevangeliars sind offenbar aus Färberwaid gewonnen worden. Darauf deuten die jüngsten Untersuchungen des „Art Institute of Chicago“ hin. Dort ist dieses mittelalterliche Kleinod des Dom-Museums derzeit untergebracht, um im November im Rahmen der Neupräsentation der Abteilung für antike, frühchristliche und byzantinische Kunst gezeigt zu werden. Die Wissenschaftler des renommierten amerikanischen Museums haben das Buch mithilfe der Raman-Spektroskopie analysiert.

Das so genannte Kleine Bernwardevangeliar ist vermutlich im letzten Drittel des neunten Jahrhunderts in Nordfrankreich entstanden und enthält die vier Evangelien samt einiger Vorreden dazu. Um die Wende zum 11. Jahrhundert haben Mönche die Anfänge der Evangelien durch Evangelistenbilder ergänzt. Die Figuren wurden im Winkel von 90 Grad zum Schriftspiegel in blaugrauer Tinte gezeichnet. Das kostbare Werk gelangte in den Besitz des Hildesheimer Bischofs Bernward (950-1022), der es dem Benediktinerkloster St. Michael stiftete, das er gegründet hatte.

Die amerikanischen Wissenschaftler haben nun Spuren der blauen Farbpigmente mit Hilfe der Raman-Spektroskopie untersucht. Dabei wird die Streuung von Laserlicht an Molekülen oder Festkörpern analysiert. Aus dem Streuungsspektrum lassen sich Rückschlüsse auf das verwendete Material oder Farbpigmente ziehen. Die Experten sind dabei mit äußerster Sorgfalt vorgegangen, haben das wertvolle Buch auf Schaumstützen gelagert und das Laserlicht soweit abgeschwächt, dass es keinen Schaden anrichten konnte.

Auf diese Weise sind die Wissenschaftler fündig geworden: Obwohl das Laserlicht auf dem jahrhundertealten Pergamentpapier sehr uneinheitlich streute, hat man den Grundstoff der blauen Tinte eindeutig identifizieren können. Es handelt sich um den Farbstoff Indigotin, der sowohl in der Indigopflanze (botanisch: Indigofera tinctoria L.) als auch in der Färberwaid (Isatis tinctoria L.) vorkommt. Mit Hilfe der Raman-Spektroskopie könne man die Herkunft des Indigotins zwar nicht feststellen, erklärt Francesca Casadio, Andrew W. Mellon Senior Conservation Scientist am Art Institute, in ihrem Untersuchungsbericht. Sie geht aber davon aus, dass die mittelalterlichen Pergamentmaler den blauen Farbstoff aus der Färberwaid gewonnen haben. Tatsächlich wurde im Mittelalter in Deutschland viel Färberwaid angebaut und sogar in andere Teile Europas exportiert. Im 17. Jahrhundert ist diese Pflanze dann weitgehend von den Feldern verschwunden.