Wahrheit oder Inszenierung
Prof. Otto Kallscheuer spricht beim Jahresempfang von Bischof Norbert Trelle zur Ehrlichkeit in der Politik
Hildesheim/Marienrode (bph) Bischof Norbert Trelle begrüßte am Donnerstagabend die knapp 200 Gäste, die seiner Einladung zum Jahresempfang im Kloster Marienrode gefolgt waren, mit der Frage: „Braucht die Wahrheit die Inszenierung, um zur Entfaltung und Geltung zu kommen?“ Eine Antwort versuchte der Gastredner Prof. Otto Kallscheuer, Politikwissenschaftler und Philosoph.
„Ist Ehrlichkeit in der Politik nicht eigentlich gut inszenierte öffentliche Scham?“, provozierte Kallscheuer zu Beginn seiner Rede. Entscheidend für gute Politik sei wohl eher, im Interesse der Menschen zu sprechen und nicht „die Verkörperung der einen Wahrheit“ zu beanspruchen. Der Wissenschaftler betonte die Wichtigkeit der kritischen Distanz zu Politikern und plädierte für beides, „eine Identifikations- und Misstrauenskultur“. Der in Sardinien und Berlin lebende freie Autor führte ein Beispiel aus seiner Wahlheimat an: „In Italien halten viele Menschen Berlusconi für einen ehrlichen Politiker.“
In seinem von philosophischen Exkursen geprägten Vortrag warnte Kallscheuer davor, die Krise der Demokratie ausschließlich mit Bürgerentscheiden bekämpfen zu wollen. Das „permanente Plebiszit“ sei ebenfalls eine Inszenierung und könne, wie am Beispiel der Schweiz zu sehen, in eine „Verbände- und Elitendemokratie“ führen. Interessant sei, dass der Ruf nach direkter Demokratie in früheren Zeiten immer von links, heute aber zunehmend aus dem rechten politischen Lager zu hören sei.
Otto Kallscheuer wurde 1950 im Rheinland geboren und hat sich im Rahmen seiner Arbeit auch mit theologischen Fragen auseinandergesetzt. Er lehrte und forschte u.a. an der Freien Universität Berlin, am Institute for Advanced Study der Universität Princeton, in Wien, Basel, Neapel und Rom. Zur Zeit ist er Fellow am Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ der Universität Bonn.