Zehn Gebote als „Überlebenskitt“

Celler Juristenforum mit mehr als 160 Teilnehmern

Sie klagen an und sprechen Recht – die Staatsanwälte und Richter an niedersächsischen Obergerichten. Einmal im Jahr lädt sie das Katholische Forum Niedersachsen dazu ein, tiefer über ihre Profession nachzudenken. Mehr als 160 von ihnen folgten am Mittwochnachmittag der Einladung ins Celler Residenzschloss, um den Ausführungen der Professoren Rémi Brague und Udo Di Fabio zum Thema „Recht trotz Kultur“ zu folgen.

Die beiden Gelehrten gingen das Thema von ganz unterschiedlichen Seiten an, trafen sich aber bei einer Frage immer wieder: Auf welchen Grundlagen steht unser Recht, welche tieferen Begründungen für unsere Grundwerte gibt es? Udo Di Fabio, Professor für Öffentliches Recht und Staatsrecht in Bonn und ehemaliger Bundesverfassungsrichter, sagte, der Gottesbezug im Grundgesetz sei ein „posttotalitäres Dokument“. Di Fabio: „Die Menschen haben die Welt nach ihren Plänen gestaltet und herausgekommen ist dabei die Hölle“. Aus dieser Erfahrung des Ersten und Zweiten Weltkrieges heraus sei eine Rückbindung an höhere Werte erfolgt. Der Gottesbezug mache deutlich, dass es neben den geltenden Gesetzen weitere normative Quellen gebe. Das Grundgesetz sei nicht wertneutral. Allerdings: Die Verfassung nehme keinen Bezug auf einen christlichen Gott; der Gottesbezug schließe auch den Gott anderer Religionen, ja letztlich alles Transzendente ein.

Noch deutlicher wird Rémi Brague, einer der bekanntesten französischen Philosophen und ehemaliger Inhaber des Guardini-Lehrstuhls an der Ludwig-Maximilian-Universität in München: „Es ist sehr die Frage, ob das Menschliche seine Legitimität wird langfristig verteidigen können. Die vielbesungenen Menschenrechte und Menschenwürde schweben in der Luft, solange man nicht erklärt, warum das Menschliche überhaupt gewürdigt werden soll. Um den Wert des Menschlichen zu begründen, braucht man einen Stützpunkt, der außerhalb des Menschlichen liegt. Diesen Archimedischen Punkt ist das, was alle Gott nennen. Langfristig wird das Menschliche sich nur auf dem Göttlichen stützen können.“ In den Zehn Geboten sieht Brague den „Überlebenskitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält“. Der Dekalog sei eine Liste der Grundbedingungen für ein friedliches Zusammenleben.

Recht habe sich auch aus den Regeln der Religion entwickelt und darin seine Grundlage, erklärte der Celler Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende in einem Grußwort. Seit der Zeit der Aufklärung habe sich Recht aber auch eigenständig von der Religion weiterentwickelt – und dies sei von der Kirche akzeptiert worden.

Das Juristenforum fand zum siebten Mal statt. Erstmalig nahmen auch 12 Richter und Staatsanwälte aus Wroclaw (Polen) teil, ebenso der Generalkonsul der Republik Polen. Dies verdankt sich der langjährigen Partnerschaft zwischen der Gerichtsbarkeit in Wroclaw und dem Oberlandesgericht Braunschweig. Das Celler Juristenforum ist, auch aufgrund der stabilen Entwicklung der letzten sieben Jahre, zusammen mit den „Essener Gesprächen“ das bedeutendste Forum dieses Formats in Norddeutschland geworden.