Unterwegs mit Bischof Norbert

Notizen von Domvikar Roland Baule, dem Persönlichen Referenten von Norbert Trelle

Es ist der 3. Juli 2010; über der Millionenstadt Santa Cruz liegt an diesem Vormittag drückende Hitze. Große Anspannung herrscht bei der kleinen Delegation, die mit Bischof Norbert durch das Tiefland von Bolivien reist. Das Viertelfinale der Fußball- Weltmeisterschaft in Südafrika steht kurz bevor. Die junge deutsche Nationalmannschaft trifft auf Argentinien; ausgerechnet im Nachbarland des Gegners müssen die Hildesheimer Gäste dieses Spiel verfolgen. Kardinal Terrazas hat bereitwillig das Fernsehgerät im Bischofshaus zur Verfügung gestellt.

Bischöflicher Freudentanz nach dem 3:0

Vom nahegelegenen Kolpinghotel aus machen sich Generalvikar Schreer und der Persönliche Referent von Bischof Norbert auf den Weg. Doch statt des erwarteten Gegenwinds schlägt ihnen schon unterwegs die Sympathie der Bolivianer entgegen: „Suerte, Alemania! – Viel Glück, Deutschland!“ ruft ihnen eine Gruppe von Schülern zu. Zwar fällt schon in der vierten Spielminute das erste Tor für die deutsche Mannschaft; Erleichterung will sich im Wohnzimmer des Kardinals dennoch nicht einstellen. Vor allem der Bischöfliche Sekretär sitzt, die Fernbedienung fest umklammert, aufgeregt auf der Kante des Sofas; links und rechts neben ihm der Bischof und der Generalvikar. In der Mitte der zweiten Halbzeit – es steht immer noch 1:0 – legt schließlich Bischof Norbert mitfühlend die Hand auf die Schulter seines Mitarbeiters: „Es ist zwar nicht die Hand Gottes, Herr Kaplan, aber wenigstens die Hand des Bischofs. Beruhigen Sie sich doch!“ – nur um zwei Minuten später selbst als erster vom Sofa aufzuspringen und das 2:0 zu bejubeln; gefolgt von einem bischöflichen Freudentanz zum 3:0 und dem Ausruf „Don’t cry for me, Argentina“ beim denkwürdigen 4:0.

Das Eis ist gebrochen. Die entspannte Atmosphäre setzt sich während der Reise fort. Die Hildesheimer Delegation erlebt ihren Bischof als aufgeschlossenen und nahbaren Gesprächspartner, der mit großer Aufmerksamkeit die Begegnung mit den Menschen im Partnerland sucht. Bauern im Hochland erzählen ihm, wie sehr ihre Existenz schon jetzt durch den Klimawandel bedroht ist. Bischof Norbert nimmt teil am Schriftgespräch einer Hausgemeinde, die sich für die Armen im benachbarten Slum einsetzt. Und bei einem improvisierten Konzert spielen Jugendliche aus einer Guaraní- Siedlung europäische Barockmusik, zu der die indigene Bevölkerung einen erstaunlichen Zugang besitzt. Immer mittendrin und interessiert nachfragend: Unser Bischof.

Dieser Begeisterungsfähigkeit, der Zugänglichkeit und dem Humor, die ich bei Bischof Norbert in Bolivien kennengelernt habe, entspricht eine feste Verwurzelung im Glauben und eine tiefe Kenntnis der Heiligen Schrift. Als ich dem Bischof zu Weihnachten 2013 die Entwürfe für seinen jährlichen Kartengruß vorlegte, wählte er zielsicher eine Aufnahme aus, die das Innere des Domes als große Baustelle zeigte und bemerkte: „Was für ein ausgezeichnetes Weihnachtsmotiv, wenn wir es mit dem Jesaja-Wort verbinden: ‚Man nennt dich den Maurer, der die Risse ausbessert!‘ (Jes 58,12)“ – Eine solche Haltung, Situationen des Alltags, aber auch Prozesse schwieriger Entscheidungen in sehr natürlicher Weise mit Worten aus der Heiligen Schrift oder mit biblischen Begebenheiten zu verbinden und die zur Auswahl stehenden Optionen auf diese Weise noch einmal geistlich zu prüfen, ist mir bei Bischof Norbert immer wieder begegnet. Auf Pilgerfahrten verharrte er mit Innerlichkeit und Ausdauer vor dem Allerheiligsten, sodass es für mich besondere Authentizität bekam, wenn er in Predigten oder geistlichen Worten davon sprach, dass der christliche Glaube einen tiefen „Wurzelgrund“ braucht und durch „Tiefenbohrungen“ immer wieder erkundet werden sollte.

Aus dieser Haltung erwuchs Bischof Norbert eine gläubige Gelassenheit, die ich bei meiner Arbeit im Bischofshaus besonders geschätzt habe. Den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Domhof brachte er unabhängig von ihrer Position stets großes Vertrauen entgegen, sodass es ihm leichtfiel, Verantwortung zu teilen.

Der erste und die letzten Priester, die Bischof Norbert in seiner Amtszeit geweiht hat: 2006 Domvikar Roland Baule, 2017 Fabian Boungard und Benedikt Heimann (rechts).

Deutschlands Bischöfe in Hildesheim

Am meisten bewegte Bischof Norbert jedoch die persönliche Begegnung mit den Menschen. Während des Bistumsjubiläums kam es beispielsweise vor, dass er sich erschöpft auf den Weg in den Dom machte, um zwischen zwei Terminen noch eine Gruppe von Pilgern zu begrüßen. Sobald er das Bischofshaus verlassen hatte, war uns Mitarbeitern jedoch bewusst, dass es gewiss nicht bei der vorgesehenen halben Stunde bleiben würde – sehr zur Freude der Wallfahrer, für die er sich dann außerhalb des Kalenders Zeit nahm.

Zum neu gestalteten Dom hatte Bischof Norbert bald eine besondere Verbindung entwickelt. Er genoss es geradezu, hier Gottesdienst zu feiern und die Möglichkeiten zu nutzen, die der klare Raum für die Ausgestaltung der liturgischen Handlungen bot. Dabei nahm er kreative Vorschläge gern auf und wagte im Jubiläumsjahr des Bistums auch in der Liturgie manches „Heilige Experiment“: Schon am Tag nach der Wiedereröffnung des Domes lud er Gläubige aus allen Konfessionen zu einem ökumenischen Taufgedächtnis ein, das er gemeinsam mit Landesbischof Meyns, seinem evangelischen Amtsbruder aus Braunschweig, leitete. Große Beachtung fand das Schuldbekenntnis, das Bischof Norbert am Aschermittwoch des Jubiläumsjahres für die gesamte 1200-jährige Bistumsgeschichte ablegte. Die Mitglieder der Bischofskonferenz kurz darauf zur Frühjahrsvollversammlung im Hildesheimer Dom begrüßen zu können, war für ihn sicher einer der Höhepunkte in seiner Amtszeit.

Als Bischof Norbert im Sommer 2011 den damaligen niedersächsischen Regierungschef David McAllister durch die Baustelle des Domes führte, ging er mit ihm auch an den Rand der Bischofsgruft und eröffnete dem verblüfften Ministerpräsidenten mit der oben beschriebenen gläubigen Gelassenheit: „Hier können Sie sehen, wo ich einmal bleiben werde!“ – Mein herzlicher Wunsch ist: Möge bis dahin noch viel Zeit vergehen, sodass Bischof Norbert die vor ihm liegenden Jahre genießen kann: reisend, betend und in der unkomplizierten Begegnung mit den Menschen.