Glauben in einer „Stadt ohne Gott“

Dr. Thomas Flammer referierte in Salzgitter über „Katholische Kirche im Schatten der Hermann-Göring-Werke“

Hildesheim/Salzgitter (bph) Gestandene deutsche Pfarrer, die plötzlich zu italienischen Kaplänen wurden; Privatwohnungen, die als Gottesdiensträume hergerichtet wurden – Katholisch sein im Salzgitter des Dritten Reiches hieß vor allem eines: improvisieren und leidensfähig sein, sagte Dr. Thomas Flammer beim „Verein für Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim“. Unter dem Titel „Katholische Kirche im Schatten der Hermann-Göring-Werke“ hielt der Kirchenhistoriker seinen Vortrag am Donnerstagabend in der Kirche St. Gabriel in Salzgitter-Gebhardshagen.

In den späten 30er Jahren war die Situation der Katholiken in der Region Braunschweig und Salzgitter etwa vergleichbar mit der Situation im ganzen damaligen „Reich“: Ein Wechselbad aus Hoffen und Bangen. Katholische Verbände, die aufgelöst und nach dem „Reichskonkordat“ 1933 kurzfristig wieder zugelassen wurden, Pfarrer, die wegen angeblich homosexueller Umtriebe verhaftet wurden. In Salzgitter gab es dagegen eine Besonderheit, wie Thomas Flammer, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Geschichte des Bistums Münster, in seiner Heimatkirche in Gebhardshagen ausführte: Eine „Stadt ohne Gott“, die erst noch entstehen sollte und auf Befehl des „Führers“ keine Kirche haben durfte. Dazu Ströme von Wanderarbeitern, die oft aus katholischen Gegenden in das evangelisch geprägte Braunschweigische kamen, so etwa viele tausend Italiener. Lebten im Raum Salzgitter in den frühen 30er Jahren nur etwa 1.300 Katholiken so waren es 1938 schon 13.000 und im Jahre 1939 schätzungsweise 40.000 Katholiken.

Die Lösung lag im Improvisieren, im Täuschen und Tarnen, wie Flammer in seinem Vortrag ausführte. So gelang es dem Bistum oft, über Strohmänner Gaststätten oder Privathäuser zu erwerben und dort Gottesdiensträume einzurichten. Oft wurden Gottesdienste auch in Privatwohnungen gefeiert.

Eine besonders kreative Lösung fand man für die Lager der Wanderarbeiter aus Italien, das ja mit Deutschland verbündet war. Offiziell hatten nur italienische Geistliche Zugang zu diesen Lagern. Um auch den deutschen Mitbrüdern Zugang zu verschaffen, wurden diese kurzerhand von den italienischen Pfarrern zu Hilfskaplänen erklärt. Immerhin gelang es so mit List und Tücke, im Großraum Salzgitter sonntags rund 25 Gottesdienste zu organisieren, die teilweise heimlich abgehalten wurden.

Besser wurde die Situation für die Katholiken paradoxerweise erst mit der Verschlechterung der Kriegslage. Um die Moral der Bevölkerung nicht noch weiter zu schwächen, kamen die Behörden dem Bistum Hildesheim zunehmend entgegen. Trotzdem hatten bis zum Kriegsende 45 Prozent aller Geistlichen in Salzgitter mindestens einmal Kontakt mit der Gestapo, wie Kirchenhistoriker Flammer in seinen Untersuchungen herausgefunden hat, die bald als Buch erscheinen sollen.

Erst das Ende des Krieges brachte der katholischen Kirche dann wieder volle Handlungsfreiheit und sogar mehr. Die Besatzungsmächten betrachteten die katholische Kirche als relativ unbelastet und stützten sich oft auf katholische Priester beim Aufbau eines neuen Deutschland.