Ein Dach für die Seele

Experten sprachen in Hildesheim über „Religion und Migration“

Hildesheim (bph) Bischof Norbert Trelle mahnt, Migranten gastfreundlich aufzunehmen. „Ein entgegenkommendes Miteinander mit den Menschen, insbesondere mit dem Fremden, ist Maßstab für Grad und Entwicklung einer Zivilisation“, sagte der Hildesheimer Bischof am Samstagnachmittag, 5. Mai, beim Symposium „Religion und Migration“ vor rund 100 Gästen in der Hildesheimer Dombibliothek. Mit diesem Symposium, zu dem zahlreiche Migrationsexperten nach Hildesheim kamen, ehrte das Bistum seinen Bischof, der am 5. September 70 Jahre alt wird. Norbert Trelle ist Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Das Überschreiten von Grenzen gehört zum Wesen des Menschen und hat auch eine religiöse Dimension. Selbst Gott habe durch seine Menschwerdung eine Grenze überschritten und dadurch „geradezu die Fremde und das Fremde gesucht“, sagte Trelle in einem einleitenden Wort zum Symposium. Jedem Aufbruch liege eine Verheißung auf ein besseres Morgen zugrunde, so der Bischof weiter. Wichtig sei, dass Fremde in ihrer neuen Heimat Wurzeln schlagen können. „Der Zusammenhalt der Familie und das Leben in gemeinsamen Glaubenstraditionen sind ein solcher Wurzelgrund, in dem neu Heimat wachsen kann“, glaubt der Bischof und erinnerte an seine Mutter, die auf der Flucht in den Nachkriegswirren in Herleshausen zum ersten Mal wieder eine Messe besuchen konnte. Da habe sie gespürt, „wieder daheim zu sein“ und „ein Dach für ihre Seele“ gefunden zu haben, zitierte der Bischof aus den Erinnerungen seiner Mutter.

In ihrem Eröffnungsvortrag über „Migration als Gabe und Aufgabe für die Kirche“ verdeutlichte Prof. Dr. Regina Polak von der Universität Wien anhand von Zahlen, dass Europa längst zu einer „Migrationsgesellschaft“ geworden ist. International gibt es nach Angaben der UNO etwa 214 Millionen Migranten, 72,5 Millionen sollen es in Europa sein, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 8,7 Prozent. Einem Verständnis von Integration als völliger Angleichung erteilte die Wienerin eine Absage. Integration bedeutet nach ihrem Verständnis vielmehr ein „Zusammenleben in Vielfalt“, das einen Beitrag von allen fordere. Auch wenn die Kirchen auf diesem Gebiet schon viel getan hätten, so spüre man doch auch dort noch zu oft „Harmonisierungstendenzen“, also den Hang zur Ausgrenzung Andersartiger, bemängelte die Wissenschaftlerin. Dabei könnten Migranten das Glaubensverständnis der Christen erweitern und ihnen immer wieder ihren eigenen „Gaststatus auf Erden“ deutlich machen, so Polak. Sie empfahl der katholischen Kirche, Pluralität ohne falsche Romantisierung als „Gottesgabe“ zu sehen und dadurch noch „katholischer“, also weltumfassend, zu werden.

Religion und Integration, die Erfahrungen von Heimat, Heimatlosigkeit und Gotteserfahrungen beleuchteten dann vier Experten jeweils aus ihrer Sicht. Nach Ansicht von Ulrich Pöner etwa hat die Kirche vier Aufgaben bei der Integration zu erfüllen: Sie muss sich für Verfolgte einsetzen, katholischen Migranten Brücken bauen in deutsche Gemeinden hinein, Andersgläubigen die Integration in die Mehrheitsgesellschaft erleichtern und den „Deformationstendenzen unserer Gesellschaft“ entgegenwirken, so der Mitarbeiter der Deutschen Bischofskonferenz. Nur eine Gesellschaft, die trotz aller Tendenzen zur Säkularisierung noch Werte aufzuweisen habe, könne überhaupt attraktiv sein für Migranten, erklärte Pöner seine Thesen.

In Migrationsfragen habe die katholische Kirche Deutschlands mit Bischof Norbert Trelle eine starke Stimme, lobte Pöner den Vorsitzenden der Migrationskommission der deutschen Bischöfe. „Freundlich im Ton, aber klar in der Sache“ bringe Trelle die Dinge immer wieder auf den Punkt, hat Pöner mehr als einmal beobachtet.

Mit einer interessanten These wartete Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning von der Universität Duisburg-Essen auf. Ihre Forschungen hätten gezeigt, dass viele junge christliche Menschen in Deutschland zwar religiöse Werte hätten, aber dennoch kein Bedürfnis nach Religion, daher auch ihren Glauben kaum noch kennen. Die religiös sehr stark sozialisierten muslimischen Jugendlichen fänden daher in der Mehrheitsgesellschaft kaum Gleichaltrige, die ihnen kompetent über das Christentum Auskunft geben könnten. Die Angebote der Muslime zum gegenseitigen Kennenlernen und Austausch blieben daher oft unerwidert.

Prof. Dr. Hans-Joachim Sander aus Salzburg und Prof. Dr. Karen Joisten aus Kassel näherten sich dem Themenkomplex schließlich in zwei sehr intensiven theologischen beziehungsweise philosophischen Grundlagenvorträgen, bevor Dr. Heribert Prantl den Abend in der Hildesheimer Dombibliothek mit einem Abschlussvortrag beendete. Gewohnt pointiert beeindruckte der Journalist der „Süddeutsche Zeitung“ mit einer schonungslosen Bestandsaufnahme der Situation von Migranten in Europa. Angesichts tausender Afrikaner, die auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertranken, warf er dem wohlstandsgesättigten Europa eine „Todsünde“ vor und machte die Subventionspolitik der EU mitverantwortlich für das Elend in den Herkunftsländern der Migranten. Prantl erinnerte daran, dass auch die deutschen Migranten in den USA Mitte des 19. Jahrhunderts feindselig behandelt wurden, was hierzulande kaum bekannt sei. „Die deutsche Auswanderung kommt im nationalen Gedächtnis kaum vor“, klagte der renommierte Münchner Journalist. Wäre dies anders, müssten die Deutschen keine solche „Heidenangst“ vor Einwanderung haben. Prantl wünscht sich eine Gesellschaft, die Heimat bleiben könne für die Altbürger und Heimat werden für Neubürger Deutschlands. Das werde nur mit gegenseitigem Respekt funktionieren, schloss Prantl seinen vielbeklatschten Vortrag. Wenn es gelinge, einander gelten zu lassen, dann könnte Einwanderung schließlich auch als Chance und Bereicherung gesehen werden.

Das Bistum plant, die gesammelten Vorträge des Symposiums über „Religion und Migration“ bis zum Geburtstag von Bischof Norbert Trelle am 5. September in einem Tagungsband herauszugeben.